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07.07.11 –
Rede im Bundestag am 7. Juli 2011 (zu Protokoll)
Der Zustand der Meere weltweit ist – man kann es leider nicht dramatisch genug ausdrücken – eine Katastrophe. Sie scheinen unendlich groß zu sein und so werden sie vielfach auch behandelt: Als Ressource, die es schonungslos zu nutzen und auszubeuten gilt. Die Folgen sind klar, auch wenn sie unter der Wasseroberfläche liegen und zunächst verborgen erscheinen: Massive Überfischung bei der jetzt an die letzten Reserven gegangen und Fisch gefangen wird, den vor wenigen Jahren keiner kannte, geschweige denn essen wollte, oft sogar noch bevor sie sich wenigstens einmal fortpflanzen konnten. Hinzu kommen Schadstoffe aus allen Richtungen: Der Meeresboden wird nach Öl und Gas angezapft oder auf der Suche nach Rohstoffen umgepflügt, über die Flüsse werden Rückstände aus der Landwirtschaft eingeleitet, befeuern das Algenwachstum und senken den Sauerstoffgehalt so weit, dass zum Beispiel Teile der Ostsee praktisch tot sind. Hinzu kommt die Schifffahrt, die mit Raffinerieabfällen angetrieben wird, die ihre Abwässer legal in die Meere kippt und mit ihren Ballasttanks fremde Arten einschleppt und Heimisches verdrängt. Nicht zu vergessen ist schließlich die Müllproblematik. Vor allem Kunststoff kommt von Land in die Meere, treibt jahrzehntelang herum, zerfällt in kleinste Teile und wird von Vögeln gefressen, bis sie schließlich daran sterben. Für all diese Probleme haben wir bisher nur Lösungsansätze. Einen durchschlagenden Erfolg gibt es nicht. Im Gegenteil: Die Ausbeutung wird weiter vorangetrieben: Die Deepwater Horizon ist fast vergessen und manche träumen von den sogenannten „Chancen“ des Klimawandels, um endlich mit Schiffen durch das sensible Ökosystem Arktis fahren zu können.
Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ist überfällig und als europäische gemeinsame Initiative der richtige Weg – denn Meere kennen keine Grenzen. Müll oder Ölreste schwappen gnadenlos an jeden Strand.
Leider blieb schon die europäische Vorgabe hinter unseren Vorstellungen zurück. Die Fischerei wurde vollkommen ausgenommen. Obwohl die Richtlinie den Erhalt der Fischbestände und zerstörerische Fangmethoden als Teil der Definition zum guten Umweltzustand betrachtet, können diese Punkte nicht in der nationalen Gesetzgebung reguliert werden. Die Staaten sollen mit ihren Gesetzen zwar die Meere schützen – auf die Fischerei können sie aber keinen direkten Einfluss ausüben. In der Zwischenzeit hat auch die Biodiversitätskonvention CBD Ziele zum Meeresschutz verabschiedet. Zentral ist dabei das Ziel, Fischerei und Aquakultur nachhaltig zu gestalten. Dieser Bezug wird in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie nicht hergestellt. Leider ist die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie in sich nicht konsistent: Einerseits wird ein kohärenter und transparenter Rechtsrahmen über die relevanten Politikbereiche hinweg gefordert, andererseits wird die gemeinsame Fischereipolitik nicht angetastet. Hier wäre eine Ermächtigung der Mitgliedsstaaten wünschenswert gewesen, da eine wirklich weitreichende Ökologisierung der Fischereipolitik bisher nicht absehbar ist. Das ist ein echter Schwachpunkt in der europäischen Vorlage. Sie setzt kaum einen ausreichenden Handlungsrahmen für die Mitgliedsstaaten.
Auch die deutsche Umsetzung hat Mängel – das zeigt auch die Kritik von Umwelt- und Naturschutzverbänden. So ist der Schutz biologischer Vielfalt zwar in der Begründung als Ziel aufgeführt, müsste aber viel stärker das Ineinandergreifen mit dem CBD-Übereinkommen über die biologische Vielfalt unterstreichen. Auch die Bedeutung von Meeresschutzgebieten wird zu wenig berücksichtigt. Bei den Maßnahmen hätte man die Schutzgebiete herausheben sollen, denn gerade hier wird die Vielfalt maritimer Ökosysteme repräsentativ und angemessen berücksichtigt.
Wenn man gewollt hätte, wäre in der Gesamtheit mehr drin gewesen. Sowohl die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie als auch die deutsche Umsetzung hätten viel konsequenter sein müssen. Trotz dieser Kritik ist es wichtig, dass nun endlich eine Grundlage zum Schutz der Meere vorliegt. Es besteht die Chance, den Zustand der Meere umfassend zu bewerten und anhand dieser konkrete Schritte zu gehen. Dabei dürfen wir aber keine rosarote Brille aufsetzen. Der Zustand ist in seiner Dramatik, wie uns fast schon regelmäßig in jeder neuen Studie vorgehalten wird, kaum zu unterschätzen. Die Lücke zu einem guten ökologischen Zustand ist groß und ein Maßnahmenprogramm, das diese Lücke schließen soll, muss es in sich haben. Doch die tatsächlichen Debatten und Ergebnisse stimmen trübe. Eines der wesentlichen Handlungsfelder – die Fischerei – wird kaum angetastet. Genau wie bei der jüngst vorgelegten europäischen Biodiversitätsstrategie schnellen sofort die Zeigefinger in die Luft, die Strategie dürfe den europäischen Agrar- und Fischereireformen nicht vorgreifen. Falsch! Die Strategien, Richtlinien und legislativen Umsetzungen sind genau dazu da, ressortübergreifend einen Rahmen zu setzen. Sonst sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Es ist höchste Zeit und wir alle müssen viel arbeiten, um nicht zu spät zu kommen.
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