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18.01.10 –
Über Kröten, Klimawandel und Wachstum
Interview mit Valerie Wilms in den Elmshorner Nachrichten
Jamaika-Koalition im Saarland, Schwarz-Grün in Hamburg: Ist ein Krötensterben zu befürchten, weil die Grünen in diesen Koalitionen so viele davon (Stichwort: Kraftwerk Moorburg) werden schlucken müssen?
Valerie Wilms: Nun ja, wenn Kröten derzeit sterben, dann ja wohl eher die der Steuerzahler, weil die Bundesregierung Klientelpolitik betreibt und das Geld verteilt, als ob es kein Haushaltsloch gäbe. Ich kann Ihnen sagen: Grüne achten nicht nur auf die Kröten im Teich, sondern auch auf die in Ihrem Portemonnaie.
Jamaika-Koalition im Saarland, Schwarz-Grün in Hamburg: Ist ein Krötensterben zu befürchten, weil die Grünen in diesen Koalitionen so viele davon (Stichwort: Kraftwerk Moorburg) werden schlucken müssen?
Valerie Wilms: Nun ja, wenn Kröten derzeit sterben, dann ja wohl eher die der Steuerzahler, weil die Bundesregierung Klientelpolitik betreibt und das Geld verteilt, als ob es kein Haushaltsloch gäbe. Ich kann Ihnen sagen: Grüne achten nicht nur auf die Kröten im Teich, sondern auch auf die in Ihrem Portemonnaie. Aber im Ernst: Koalitionen werden bei uns nach Inhalten geschlossen - und nur wenn die Gesamtheit stimmt, lassen wir uns auf ein Bündnis ein. Im Saarland gab es eine große Bereitschaft der Partner auf uns zuzugehen und unsere Forderungen zu erfüllen - Stichworte sind hier Ausstieg aus dem Kohlebergbau und die Bildungsreform. Mit Moorburg sind wir in der Tat unzufrieden, aber es hätte auch keine andere politische Konstellation gegeben, die das Kraftwerk hätte verhindern können - und dazu solche Auflagen wie jetzt zur Bedingung macht.
Ist für Sie vor dem Hintergrund der SED- und Stasi-Vergangenheit der Linkspartei - wie gerade in Brandenburg wieder mehr als deutlich wurde - Rot-Rot-Grün eine ernsthafte Alternative zu Jamaika-Koalitionen oder schwarz-grünen Bündnissen?
Diese Vergangenheit ist natürlich ein Punkt, an dem Grüne zusammenschrecken, denn viele haben unter dem Regime gelitten. Aber uns geht es nicht um eine pauschale Verurteilung: Wir wollen, dass jemand, der anderen geschadet hat, zu seiner Schuld steht. Sehr problematisch bleibt es aber, wenn erst auf großen Druck und dann auch nur das zugegeben wird, was nachweisbar ist. So lässt sich sicherlich nur schwer vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Die Klimakonferenz in Kopenhagen ist letztlich gescheitert. Ist die Klimakatastrophe überhaupt noch zu verhindern und wenn ja wie?
Der Klimawandel ist bereits heute unübersehbare Realität. Wenn sich die Regierungschefs angesichts dieser Tatsachen nicht einigen können, ist das eine wahre Katastrophe. Den Klimawandel verhindern können wir nicht mehr, wir haben es aber weiter in der Hand, seine Auswirkungen zu begrenzen - und je früher wir damit ernsthaft beginnen, um so lebenswerter können wir unseren Planeten erhalten. Deswegen braucht es weiterhin global verbindliche Ziele zur Emissionsreduktion und wir werden hart darum kämpfen müssen, dies spätestens bei der nächsten Konferenz in Mexiko zu erreichen.
Bei uns wird über den Sinn des Afghanistan-Einsatzes diskutiert, während die USA über ein Engagement im Jemen nachdenken und islamistische Terroristen versuchen, Flugzeuge in die Luft zu jagen. Wo wird künftig unsere Freiheit verteidigt, am Hindukusch oder in Deutschland?
Es ist nicht die Frage, wo unsere Freiheit verteidigt wird, sondern wie und mit wem. Damit lenkt man nur von dem eigentlichen Problem ab. Afghanistan ist nur ein Teil des Problems - wenn auch ein sehr gravierender. Wer jedoch glaubt, mit einem Abzug aus Afghanistan würde sich das Terrorismusproblem in Luft auflösen, wird ein böses Erwachen erleben. Unsere Freiheit kann letztendlich nur die Freiheit aller sein. Rein militärisch oder sicherheitspolitisch sind die Probleme nicht zu lösen und ich kann auch nur vor Aktionismus warnen: Wer bei Anschlagsversuchen wie jüngst in Detroit sofort Verschärfungen fordert, betreibt nichts als Augenwischerei. Wir haben schon heute sehr viele Instrumente zur Terrorbekämpfung. Wer dann immer mehr fordert - wie etwa Nacktscanner - schränkt unsere Freiheit zunehmend ein und erfüllt damit genau das, was sich Terroristen wünschen: Dass wir unsere freie und demokratische Grundordnung immer mehr aufgeben. Das darf nicht unser Ziel sein.
Die Große Koalition hat Geld für den privaten Autokauf verschenkt (Abwrackprämie); Schwarz-Gelb verschenkt Geld an Hoteliers (Mehrwertsteuersenkung), die Linken fordern Reichtum für alle und der Schuldenberg steigt auf über eine Billion Euro. Welches wären Ihre Rezepte, um den völlig aus dem Ruder gelaufenen Bundeshaushalt wieder in Ordnung zu bringen?
Die Politik sowohl der letzten als auch der jetzigen Regierung ist schlecht durchdacht und kurzfristig: Der Horizont liegt immer nur bei der nächsten Wahl. Schwarz-Gelb hat die Wahl mit Versprechungen auf Kosten unserer Zukunft gewonnen. Wir müssen endlich erkennen, dass Steuergeschenke auf Pump ein vollkommener Irrweg sind. Mein Vorschlag ist ein Lastenausgleich, also eine einmalige Vermögensabgabe, die jedoch über mehrere Jahrzehnte gestreckt wird und nach Vermögenshöhe gestaffelt ist. Mit dieser Möglichkeit wurde schon die Grundlage für den Aufschwung der 50er Jahre gelegt. In den 90er Jahren wurde dieser Vorschlag wieder aufgegriffen, damals aber von der FDP und Finanzminister Waigel abgebügelt. Das Ergebnis kennen wir: Die Einheit wurde durch die Sozialkassen finanziert und wir haben heute ein Rekorddefizit, für das unsere Enkel noch zahlen müssen. Aus dieser Spirale können wir ausbrechen - nur müsste die FDP dazu ihre unsinnigen Versprechungen endlich fallen lassen und der Realität ins Auge blicken.
Das Zauberwort, um aus der Wirtschaftskrise zu kommen, heißt Wachstum. Doch ist Wirtschaftswachstum überhaupt noch dauerhaft möglich und auch - aus ökologischer Sicht - sinnvoll und erstrebenswert?
Rein quantitatives Wachstum ist nur ein "Zauberwort" für die nächste Wahl. Es wird damit eben nicht beantwortet, ob sich unsere Gesellschaft auch qualitativ verbessert hat. Was nützt ein Prozent Wirtschaftswachstum, wenn wir immer mehr Geld für die Folgen des Klimawandels ausgeben müssen, wenn weniger junge Leute studieren - oder das Haushaltsloch absurde Größen erreicht. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht nicht um Verzicht oder darum, wieder im Baströckchen herumzulaufen. Mir geht es um Kostenwahrheit, also abzuschätzen, wie wir mit unseren begrenzten finanziellen wie natürlichen Ressourcen so wirtschaften und haushalten, dass auch unsere Kinder und Enkel noch in einem lebenswerten Land zu Hause sein können.
Was halten Sie vom Wachstumsbeschleunigungsgesetz? Kann man mit Steuersenkungen Wirtschaftswachstum erzeugen?
Erstens ist der Name dieses Gesetzes lächerlich: Wer hätte gedacht, dass eine Regierung mit neoliberalen Wurzeln einmal die Wirtschaft planen will, wie man es zuletzt in der untergegangenen DDR versucht hat. Zweitens erzeugt man Wachstum nur, wenn auch zum Konsum angeregt wird - und das passiert eben nicht, wenn das Geld an Besserverdienende und Hoteliers geht, die es auf die hohe Kante legen. Noch einmal: Das ist alles nur kurzfristig gedacht und vollkommen unverantwortlich gegenüber der Zukunft unseres Landes.
In Hamburg haben Autonome eine Polizeiwache überfallen. Ist das der Beginn eines neuen Linksterrorismus? Waren wir zu lange auf dem linken Auge blind?
Egal ob links oder rechts: Wer Gesundheit und Leben anderer gefährdet, handelt kriminell und muss dafür zur Verantwortung gezogen werden. Das mildert auch ein mehr oder weniger logisch zusammengebastelter ideologischer Überbau nicht ab. Wir haben uns in Deutschland und Europa aus sehr guten Gründen für eine zivile und demokratische Grundordnung entschieden. Die Bürgerinnen und Bürger haben alle Rechte und Möglichkeiten sich zu äußern, selbstverständlich auch mittels zivilen Ungehorsam, aber Gewalt ist eine Grenze, die nicht überschritten werden darf.
Was können wir tun, um unsere Polizisten künftig besser zu schützen?
In erster Linie brauchen wir bessere Bildung, Gewaltprävention und mehr Mittel für Sozialarbeit. Ein Fehler wäre es, die Polizei einseitig weiter aufzurüsten und sie bei jeder Demonstration martialisch in voller Montur auftreten zu lassen. Damit erzeugt man nur Angst und Aggression - und schafft kein Vertrauen. Es ist etwas völlig anderes, in das Gesicht eines Polizisten blicken zu können, statt einen anonymen Helm vor sich zu haben. So kann man sich viel leichter verständigen und Aggressionen vorbeugen.
Im Kreis Pinneberg wird ein neuer Landrat gesucht. Welche Fähigkeiten müsste er aus Ihrer Sicht - der Sicht einer ehemaligen Kreistagsabgeordneten - haben?
Er oder sie sollte eine gute Mischung aus verschiedenen Fähigkeiten mitbringen: Einerseits Land und Leute kennen, dabei aber auch über den Tellerrand sehen können und offen für Ideen und Projekte sein, die in anderen Kreisen erfolgreich sind. Insbesondere die Neuausrichtung von Helgoland für einen nachhaltigen Tourismus und eine stabile Hafensituation müssen entscheidende Projekte für den neuen Landrat sein. Dabei stehe ich im Tourismusausschuss und im Verkehrsausschuss des Bundestags gern als Türöffnerin zur Verfügung. Vor allem aber muss der neue Landrat konsensfähig sein und vertrauensvoll mit der Selbstverwaltung zusammenarbeiten. Denn der Kreis wird durch beide, Selbstverwaltung und hauptamtliche Verwaltung, repräsentiert. Darum ist hier nach den letzten sechs verlorenen Jahren ein Neustart dringend erforderlich.
Seit gut drei Monaten sind Sie Bundestagsabgeordnete. Gibt es etwas, dass Sie immer noch am Bundestagsbetrieb irritiert?
Berlin ist für mich vor allem Arbeitsort, meine Heimat bleibt Schleswig-Holstein. Ich weiß woher ich komme und wohin ich gehöre - das wird immer eine gewichtige Rolle bei meiner Arbeit spielen. Der Bundestagsbetrieb birgt leider gewisse Gefahren: Ständig ist man von Leuten umgeben, die sich vorwiegend mit Politik beschäftigen. Das ist oft sehr interessant und auch wichtig - aber Politik ist eben nur ein Teil unserer Gesellschaft und nicht jeder in unserem Land hat ständig Zeit, sich damit zu beschäftigen. Ich plädiere deswegen für Gegenseitigkeit: Wir Politiker müssen nicht immer zu allem und jedem etwas sagen, sondern sollten uns manchmal bewusst zurückhalten. Dafür wünsche ich mir, dass die Menschen Vertrauen in meine Arbeit haben und wissen, dass ich auch nur eine ganz normale Bürgerin bin, die für vier Jahre gewählt wurde.
Interview: Bernd Amsberg
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