Grüne im Europaparlament verweigern Politikfähigkeit

Angesicht des Verhaltens der grünen Fraktion bei der Neukonstituierung des Parlaments und der Wahl des neuen Kommissionspräsidenten nach der Europawahl 2019 haben sich einige grüne Mitglieder in einem offenen Brief an die neuen Europaparlamentarier gewandt. Mit ihrem Verhalten hat sich die grüne Europafraktion bei der Konstituierung des Europaparlaments ins Abseits gestellt, zusammen mit den Parlamentariern von rechtspopulistischen Parteien und Europahassern. Wer sich so destruktiv verhält, darf sich nicht wundern, dass die wesentlichen Entscheidungen an ihm vorbeilaufen. Politik soll die Regeln für das Zusammenleben gestalten, also in der Europäischen Union die Regeln für die Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedsstaaten. Das geht nicht mit einer Kopf-durch-die-Wand-Haltung. In einer Demokratie kann nur etwas mit Kompromissen erreicht werden. Maximalforderungen kann nur durchsetzen, wer entweder alleine die Mehrheit hat oder autokratisch herrscht. Beides können oder wollen die Grünen bestimmt nicht liefern. Es ist sehr zu hoffen, dass die grüne Europafraktion ihr Fehlverhalten begreift und aufarbeitet. Nur so könnte eine ernsthafte grüne Mitwirkung an der Gestaltung europäischer Politik vielleicht wieder erreicht werden. Der Weg aus der besserwisserischen Schmollecke heraus wird sehr sehr lang sein.

19.08.19 –

Offener Brief an die Grüne Fraktion im Europaparlament 

Liebe grüne Abgeordnete im Europaparlament, 

die Medienberichte nach der Nominierung von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin sowie die Berichte des neu gewählten grünen Europaabgeordneten aus Schleswig-Holstein, Rasmus Andresen, waren schon sehr überraschend. Scheinbar geht es bei den neu gewählten Europaparlamentariern der Grünen nur um Rechthaben und Rechtbehalten aber nicht darum, Politik für die Wählerinnen und Wähler zu gestalten und einen Weg für die nächsten fünf Jahre aufzuzeigen.

Diesem Kurs sind die Grünen in Deutschland seit dem Ausscheiden aus der Regierung im Jahr 2005 in der Bundespolitik leider latent erlegen. Der ständige Rückfall in „Fundi“-Zeiten ist es, was viele Wählerinnen und Wähler weiterhin von den Grünen abschreckt. Es wurde sicherlich immer wieder richtig erkannt, woran es fehlt. Aber anstelle für eine breit getragene Lösung zu kämpfen, wurde immer auf Maximalforderungen beharrt und letztlich gar nichts von den eigenen Ideen durchgesetzt. Denn die Regierung ist im Normalfall nicht angewiesen auf die Vorschläge der Opposition. Wenn Grüne wirklich etwas von ihren Ideen umsetzen wollten, brauchte es Geschick und vor allem die Bereitschaft, auch mal Kompromisse einzugehen. 

Im Verkehrsbereich hat das durchaus dort funktioniert, wo auf Klamauk mit Maximalforderungen verzichtet wurde. Ein Beispiel ist die Einführung der neuen Autobahngesellschaft des Bundes, die die bis dahin vielen zerstreuten Zuständigkeiten nun bündelt. Mit geduldigem Arbeiten der Verkehrspolitiker in der Wahlperiode von 2013 bis 2017 haben die Grünen die fundamentalen Grundlagen für diese Reform gelegt. Und auch das letztlich eingetretene Scheitern der CSU-Ausländer-Maut ist der Beharrlichkeit der Zuarbeit durch die grünen Verkehrspolitiker und ihren Sachverständigen gelungen und nicht durch fragwürdige Klamauk-Auftritte im Fernsehen oder im Plenarsaal. 

In einer Demokratie kann nur etwas mit Kompromissen erreicht werden. Maximalforderungen kann nur durchsetzen, wer entweder alleine die Mehrheit hat oder autokratisch herrscht. Beides können oder wollen die Grünen bestimmt nicht liefern. Mit der Wahl des neuen grünen Bundesvorstandes im Januar 2018 schien daher das fundamentalistische Verhalten in der grünen Politik überwunden zu sein und das Machbare im Vordergrund zu stehen. 

Gerade deshalb ist das jetzt gezeigte Verhalten der neuen grünen Fraktion im Europaparlament umso erstaunlicher. Da wurde auf ein angebliches Demokratie-Prinzip mit den europäischen Spitzenkandidaten beharrt, obwohl es dafür in den europäischen Verträgen gar keine Grundlage gibt. Auf den Wahlzetteln in den Bundesländern standen bei weitem nicht alle Spitzenkandidaten und konnten so von den Wählerinnen und Wählern hier auch gar nicht gewählt werden. Als Argument gegen die vom Europäischen Rat in seiner ureigenen Aufgabe vorgeschlagene Kandidatin für das Amt des Kommissionspräsidenten wurde von den Grünen diese fehlende Spitzenkandidatur hervorgehoben. Dieses Argument würde aber nur ziehen, wenn es einerseits dafür eine Grundlage in den europäischen Verträgen gäbe und andererseits die praktische Umsetzung bei Europawahlen über ein Wahlrecht mit europäischen Listen erfolgen würde. 

Besonders erstaunlich war der Ablauf der Anhörung der grünen Europafraktion mit der Kandidatin Ursula von der Leyen. Von einem fundierten fachlichen Austausch war nicht viel zu sehen. Statt einer Fragerunde war es eigentlich ein Tribunal gegen Ursula von der Leyen. Wie kann eigentlich die viertgrößte und damit nur kleine Fraktion im Europaparlament erwarten, dass eine künftige Kommission nur die grünen Wünsche durchsetzt? Das hätte nur dann erwartet werden können, wenn im Vorfeld ernsthaft nach inhaltlichen oder sogar personellen Kompromissen und Lösungen gesucht worden wäre. Doch dies war weder zu erkennen noch schien der Wille dazu vorhanden gewesen zu sein. 

Das Verhalten der grünen Europafraktion ähnelte Wunschvorstellungen von Lobbygruppen außerhalb der Politik. Mit Realpolitik haben solche Träumereien nicht viel gemeinsam. Erst recht nicht in einem Europa der jetzt noch 28 Nationalstaaten. Da kommt es doch ständig darauf an, Kompromisse zu finden, damit sich keine Gruppe ausgeschlossen fühlt. Dafür braucht eine Fraktion aber auch die Bereitschaft zum Schließen von Kompromissen. Doch diese haben die grünen Europaabgeordneten leider gleich nach der Anhörung mit der Feststellung, dass die Kandidatin für sie nie und nimmer wählbar wäre, aus der Hand gegeben. 

Am Tag der Entscheidung im neu gewählten Europaparlament hat die Kandidatin dann eine viel beachtete Rede gehalten, in der sie ihre Ziele für die Kommissionsarbeit aufgezeigt hat. Die gingen deutlich über die der bisherigen Kommission hinaus. Gerade in den Themenbereichen Europa, Klimaschutz und Wahlrecht ist die Kandidatin weit auf die Wünsche der Grünen eingegangen. Und was machen die neu gewählten grünen Abgeordneten? Sie mäkeln daran herum, dass Ursula von der Leyen diese Ziele nicht verbindlich zugesagt habe. Deshalb könnten die Grünen sie nicht mitwählen.  

Was hätte sie denn sonst vorschlagen sollen, damit sie die grünen Stimme gehabt hätte? Meinen die grünen Europaabgeordneten wirklich, dass eine Kandidatin für das Amt der Kommissionspräsidentin verbindliche Zusagen an eine Fraktion machen könnte, die noch nicht mal die Mehrheit im Europarlament hat sondern nur knapp etwas mehr als 10 Prozent der Abgeordneten stellt? Das Abstimmungsergebnis hat ja klar gezeigt, dass Ursula von der Leyen die grünen Stimmen bei ihrer Wahl nicht gebraucht hat. Die künftige Kommissionspräsidentin muss nicht auf die Stimmen der grünen Fraktion bauen. So haben sich die neu gewählten grünen Europaabgeordneten den Weg zum Mitgestalten verbaut. Mit Realpolitik hat so ein Verhalten nichts zu tun, weder in Europa noch in den Nationalstaaten. Es entscheidet in einer Demokratie immer die Mehrheit. 

Durch diesen Rückfall in altbekanntes Fundi-Verhalten ist die Fraktion leider in einer Gesellschaft mit den Demokratiefeinden und den Hassern der Europäischen Union im Europaparlament gelandet, die sich ebenfalls der Mitgestaltung verweigern. Aus dieser Ecke wird es ein sehr schwieriger und weiter Weg werden, um zurück an die Kompromisshebel im Europaparlament zu kommen. Ernsthafte Politik, die nach vorne blickt, sieht anders aus. 

Jetzt müsste die grüne EP-Fraktion klar und deutlich erklären, dass sie trotz des falschen Einstiegs in die neue Wahlperiode den Weg zurück zur Kompromissfähigkeit gehen möchte. Die Menschen haben die Grünen in das Europaparlament gewählt in der Hoffnung, dass sie mit interessanten Ideen die Kompromissfindung dort voranbringen werden. Das kann jetzt nur noch gelingen, indem die grüne Europafraktion nicht mehr auf irgendwelchen Schlagworten beharrt wie Klimawandel, Energiewende oder Verkehrswende. Sie muss vielmehr Wege aufzeigen und liefern, um auch weiterhin ernst genommen zu werden. Das geht nur, indem dafür detaillierte Visionen aufgestellt und daraus umsetzbare Ziele abgeleitet werden. 

Grüne Ideen sind es wert, in die Entscheidungen in den Institutionen Europaparlament, Kommission und Rat mit einzufließen. Der Weg dorthin wird aber jetzt ein sehr steiniger sein. Politik ist immer noch die „Kunst des Möglichen“. Dafür braucht es auch den politischen Gegner, gerade in Europa mit seinen vielseitigen Demokratien und Ansichten. Darum werdet bitte als grüne Europaabgeordnete kompromissfähiger, damit sich die Enttäuschung bei euren Wählerinnen und Wähler legt. 

Dr. Valerie Wilms, ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags
Friedrich Ostendorff, Mitglied des Deutschen Bundestags
Sebastian Lunau, ehem. Sprecher der LAG Mobilität Grüne Schleswig-Holstein 

Hier gibt es den offenen Brief als PDF-Datei.

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