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31.10.15 –
Abgeordnetenwort für Uetersener Nachrichten
Liebe Leserin, lieber Leser,
wir haben es uns lange ganz schön bequem gemacht. All die Krisen der letzten Jahre waren gefühlt immer weit weg. Die Eurokrise brachte Länder an den Rand des Kollapses – unsere Wirtschaft dagegen boomte. Auch die Flüchtlinge waren dank des Dublin-Abkommens vor allem ein italienisches oder griechisches Problem. Darauf haben wir uns gern ausgeruht. Wir haben nur an uns gedacht und Zumutungen auf europäische Nachbarn abgewälzt. Wir haben weder etwas gegen die Ursachen der Flüchtlingsströme unternommen, noch einen einigermaßen geordneten Zuzug ermöglicht. Es war – das sehen wir jetzt – falsch und kurzsichtig, denn wir haben ignoriert, dass Probleme außerhalb unserer Grenzen direkte Auswirkungen auf unser Leben hier haben.
Diese Ignoranz, dieser nationale und regionale Egoismus, ist zu einem beherrschenden politischen Leitbild geworden. Ein Herr Orban zieht einen Zaun um sein Land und erklärt sich anschließend nur noch zum „Beobachter“ der Flüchtlingskrise. Ein Herr Seehofer träumt von Flüchtlingslagern an der Grenze, um die Ankommenden schnell wieder ins Nachbarland zurück schicken zu können. Das ist kurzsichtig und falsch. Alleingänge sind nicht die Lösung sondern Teil des Problems. Sie verschärfen die Krise statt sie zu entspannen. Sie haben sogar in der Konsequenz das Potenzial, die Europäische Union als gemeinsame Basis für ein friedliches Zusammenleben auf unserem Kontinent zu sprengen.
Es ist erschreckend, wie erfolgreich Parteien von Problemen in ihren Ländern ablenken, europäischen Institutionen die Verantwortung zuschieben und Europa zum Feindbild machen. Wer in dieses Horn stößt, kann erstaunlich erfolgreich sein – und zwar in allen Richtungen des politischen Spektrums. Linke Regierungen wie in Griechenland sind damit genau so an die Macht gekommen wie rechte in Ungarn oder Polen. Die AfD spielt auf dieser Klaviatur und auch die CSU und eine Sahra Wagenknecht beherrschen sie.
Jeder der hier mitspielt muss sich aber bewusst sein: Die Europäische Union – so kompliziert, bürokratisch und unfertig sie oft auch sein mag – hat uns die bisher längste Friedenperiode auf dem Kontinent ermöglicht. Wer sie aushöhlt, ihre Kompetenzen zurück drängen will und wieder nationalen Alleingängen den Vortritt lassen möchte, der stellt auch das gesamte Friedensfundament in Frage.
Herzlich,
Ihre Valerie Wilms
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