Menü
03.05.21 –
In dieser spannenden Zeit, in der aktuell den Grünen schon zugetraut wird, bald die nächste Kanzlerin zu stellen, zumindest aber ihr stärkstes je erreichtes Wahlergebnis auf Bundesebene einzufahren und damit auf jeden Fall mitregieren zu können, sollte in unserer Partei auch mehr und freier über Reichweite und Angemessenheit einiger unserer Politikdiskurse und -angebote nachgedacht werden. Die Herausforderungen einer Welt, die sich beschleunigt wandelt und viele langgehegte Gewissheiten infragestellt, haben einige Parteimitglieder veranlasst, sich zu fragen, ob wir nicht auf vielen Gebieten nur noch eine verängstigte Diskussionskultur an den Tag legen – zumal dort, wo inzwischen auch von Rechts her der Debattenduktus mitbestimmt wird.
Alle Fragen, die etwa das Zusammenleben in einer multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft betreffen, werden inzwischen in der Partei kaum noch offen diskutiert, ohne dass die Angst dabei mitregiert, womöglich sich unfreiwillig als Stichwortgeber für die Falschen zu erweisen. Und dann verstummen wir oder wiederholen oft nur alte, kaum praxistaugliche Floskeln. Das aber bereitet am Ende jenen den Boden und gibt ihnen die Diskurshoheit, die zwar "die richtigen Fragen stellen, aber die falschen Antworten geben", wie der frühere französische Premier und Sozialist Laurent Fabius in den 1990er Jahren einmal über den rechtsextremen Front-National-Chef Le Pen sagte.
Wir müssen zu gedanklicher und auch couragierter verbaler Diskurssouveränität zurückfinden, zumal dort, wo wir sie uns angesichts einschüchternder Kampfbegriffe wie „Islamophobie“ und „antimuslimischer Rassismus“ abhanden zu kommen droht. Kulturkämpfe in der Schule um die Reichweite von Religionsfreiheit, Vollverschleierungsdiskussionen, islamistische Terrorangriffe, rechte Aufzüge gegen Muezzinrufe… die grüne Partei weiß oft nicht, aus welchem Wertefundus sie sich hierzu bedienen soll – ja, ob es überhaupt multikulturell statthaft ist, auf "Werte" der europäischen Aufklärung und des Säkularstaates zu setzen, gar sie durchzusetzen. Werte, die inzwischen schon im Verruf stehen, "weiße Werte" zu sein und letztlich einer von Kolonialismus und Rassismus beherrschten Epoche zu entstammen.
Mit dem"Manifest Neues Denken bei den Grünen"wollen wir im Spannungsfeld von Gesellschaft, Religion, Kultur und Politik zu einem neuen grünen Selbstverständnis in den aktuellen Debatten um den gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen. Unser Manifest ist ein Gesprächsangebot – für Parteimitglieder und auch darüber hinaus. Mit einer Unterschrift kann uns dabei geholfen werden, unseren Weg weiterzugehen.
(Text von Paul Nellen)
Kategorie