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Sie haben nicht verstanden

Wie deutsche Automobilhersteller in der Sackgasse gelandet sind von Valerie Wilms Einen kurzen Moment konnte man hoffen: Dass Politik und deutsche Automobilindustrie die Krise von Volkswagen als Chance sehen. Dass endlich massentaugliche Autos gebaut werden, die zum Klimavertrag von Paris passen. Ein Blick zurück zeigt, dass diese Hoffnung offensichtlich vergebens war. Denn die heutigen Probleme haben eine lange Tradition und gehen bis in die achtziger Jahre zurück.

15.01.16 –

Wie deutsche Automobilhersteller in der Sackgasse gelandet sind

von Valerie Wilms

Einen kurzen Moment konnte man hoffen: Dass Politik und deutsche Automobilindustrie die Krise von Volkswagen als Chance sehen. Dass endlich massentaugliche Autos gebaut werden, die zum Klimavertrag von Paris passen. Ein Blick zurück zeigt, dass diese Hoffnung offensichtlich vergebens war. Denn die heutigen Probleme haben eine lange Tradition und gehen bis in die achtziger Jahre zurück. Es ist eine Geschichte, die erzählt werden muss, um zu verstehen, in welcher Sackgasse einer der größten deutschen Arbeitgeber gelandet ist. Es ist zugleich die Geschichte, die in der Folge massive Auswirkungen auf die Wirtschaft unseres ganzen Landes haben wird.

Dieselfahrzeuge haben in Deutschland ein fast schon traditionell gutes Image: Sie gelten zwar als etwas lahm, dafür als langlebig, robust und sparsam. Diese Eigenschaften machen den Diesel ideal um schwere Lasten zu bewegen. Deswegen ist er bis heute quasi unersetzlich in Lastkraftwagen, im Straßen- und Bergbau oder auch in Generatoren zur Stromerzeugung. Als in mehreren europäischen Ländern – und u.a. auch in Deutschland – 1995 eine Mautvignette für LKWs eingeführt wurde, sollten die Speditionen nicht mit neuen Kosten belastet werden. Also wurde der Dieselkraftstoff verbilligt: Die Steuer wurde reduziert und der Preisvorteil zum Benzin erhöhte sich von nur knapp drei auf stattliche 36 Pfennig pro Liter. Als „kleiner“ Nebeneffekt ergab sich daraus natürlich auch ein Vorteil für PKWs: Ging der Preisunterschied in der freien Preisgestaltung der Tankstellen zuvor unter, wurde ein Diesel-PKW jetzt richtig günstig. Zwar wurde dieser Effekt durch die Erhöhung Kraftfahrzeugsteuer abgemildert, blieb aber im Grunde bestehen. Jeder konnte sich mit Durchschnittsverbrauch und Steuerhöhe ausrechnen, ab wann sich ein Diesel für ihn rechnet. Über den Daumen gepeilt lohnte es sich ab etwa 10.000 Kilometern im Jahr. Das ist nicht sonderlich viel.

So wurde der klassische Mitnahmeeffekt einer Subvention geschaffen. Für Automobilhersteller war klar: Dieser staatlich forcierte Kostenvorteil musste genutzt werden. Zwei Dinge standen dem im Weg: Das lahme Image des Diesels und die giftigen Abgase. Das erste Problem ließ sich relativ einfach lösen, denn die Konstruktion von Verbrennungsmotoren war seit je her Kerndomäne deutscher Hersteller. Innerhalb weniger Jahre wurde viel getan, um den Diesel spritziger und leistungsstärker zu machen. Dass die Motoren wegen der stärkeren Beanspruchung nicht mehr so lange hielten, war eher nebensächlich – schließlich sollten Käufer sowieso mit stets neuen Modellen zum Neukauf animiert werden.

Ganz anders sah es mit dem Problem der Abgase aus. Schon in den 80er Jahren belegten Studien für den Arbeitsschutz – also für die Nutzung des Diesels auf Baustellen oder in Bergwerken – die Gefährlichkeit von Rußpartikeln und Stickoxiden. Auch den Automobilherstellern blieben diese Studien nicht unbekannt und schon damals zog man alle Register, um ein Geschäftsmodell zu erhalten. Zunächst wurden die Forschungsergebnisse angezweifelt: Weil Ratten als Versuchstiere mit ihren zu kleinen Nasen die Dieselabgase nicht einatmen konnten, sondern die krebserzeugenden Stoffe injiziert bekamen, konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Die Toxikologen mussten sich etwas einfallen lassen, um die Dieselabgase direkt in die Lungen der Tiere zu bekommen, wo sie ihre krebserzeugende Wirkung entfalten. Das dauerte wieder ein paar Jahre, aber schließlich gelang es und 1986 stufte die sogenannte MAK-Kommission Dieselabgase als krebserzeugend ein; 2012 folgte die WHO.

Als der eindeutige Krebsverdacht nicht mehr zu leugnen war musste als erstes der Arbeitsschutz reagieren. Kann ein Arbeitgeber die Gesundheit am Arbeitsplatz nachweislich nicht gewährleisten, wird es schnell existenzbedrohend. Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften können Arbeitsverfahren verbieten und damit ganze Betriebe stilllegen. Das Risiko geht kaum ein Betrieb ein und Bauunternehmen und Bergbau waren deswegen früh an einer funktionierenden Abgasnachbehandlung interessiert. So wurden in den 90er Jahren – als erstes für den Berg- und Tunnelbau – wirksame Abgasreinigungssysteme entwickelt. Schnell wurde klar, dass ein für den Arbeitsschutz akzeptabler Dieselmotor zwar möglich war – jedoch nur mit sehr hohem technischen und finanziellen Aufwand. Zudem gab es gewaltige Qualitätsunterschiede: Manche Systeme reduzierten zwar die Partikel, erhöhten jedoch bedenklich den Ausstoß an Stickoxiden. Um als Unternehmen auf der sicheren Seite zu sein, wurde die Zertifizierung der Reinigungssysteme notwendig und so gründeten im Jahr 2000 Hersteller, Wissenschaftler und Arbeitsschützer einen Verein, der für die Wirksamkeit eines Dieselfilters garantieren sollte. Dieselmotoren an Arbeitsstellen können seitdem ein Prüfsiegel bekommen: Mit solchen geprüften Filtern gibt es an Arbeitsplätzen keine bedenklichen Partikel mehr in der Luft und auch die Stickoxide hat man im Griff.

Auch Volkswagen beteiligte sich an dem Verein und verfolgte dabei ein eindeutiges Ziel: Nicht nur Dieselfilter für Arbeitsgeräte, sondern auch solche für PKWs sollten ein Unbedenklichkeitszertifikat bekommen können. Im Prinzip stand dem nichts entgegen, denn die Technik hierfür war vorhanden. Sie hatte nur entscheidende Nachteile: Sollen Abgase aus einem PKW-Diesel wirklich unbedenklich sein, muss in die Motorsteuerung eingegriffen und mit Zusatzstoffen hantiert werden. Ein weiterer unangenehmer Nebeneffekt: Spritverbrauch und CO2-Ausstoß erhöhen sich. Alles in allem verdoppeln sich die Herstellungskosten eines Dieselmotors. Weil auch noch die Leistung sinkt, drohten die Vorteile des Diesels gegenüber dem Benziner gen Null zu pendeln. Für die Automobilhersteller schien dieser Aufwand nicht akzeptabel zu sein. Bis heute hat kein einziges Abgasreinigungssystem für Diesel-PKW ein Prüfsiegel.

Statt den Motor wirklich sauber zu kriegen konzentrierte sich die Lobbyarbeit in der Folge auf Teilaspekte – die jeweils für sich betrachtet viel einfacher zu lösen waren. Schaut man nicht so genau auf giftige Stickoxide oder klimaschädliches Kohlendioxid, kann man in standarisierten Prüfverfahren mit sogenannten offenen Partikelfiltern etwa ein Drittel der Rußpartikel einfangen. Im Realbetrieb hielten diese offenen Filter leider kaum etwas von ihren Versprechungen, wie Untersuchungen in der Schweiz und den Niederlanden bewiesen. Trotzdem konzentrierte sich die Lobbyarbeit auf diese Filter und konnte 2006 die Sektkorken knallen lassen, als hierfür ein staatliches Förderprogramm beschlossen wurde. Alle schienen zu profitieren: Die Politik konnte zeigen, dass sie etwas für Umwelt und Gesundheit tut, Autofahrer durften auch weiterhin in den Innenstädten unterwegs sein, Filterhersteller jubelten über einen „grandiosen Exportschlager“ und bei den Herstellern lief die Produktion von Dieselfahrzeugen spätestens ab jetzt auf Hochtouren: Innerhalb von zehn Jahren wurde der Fahrzeugabsatz verdoppelt. Auf dem deutschen Markt stieg der Anteil des Diesels um knapp zehn Prozent auf fast ein Drittel.

Die Fachleute waren entsetzt: Mit steuerlicher Vergünstigung und Fördermitteln wurde ausgerechnet die schmutzigste und gesundheitsschädlichste aller Motorvarianten unterstützt. Die Folgen waren schon damals klar – nur interessierte sich fast niemand dafür. Zu schön war die Geschichte vom „sauberen“ Diesel, der den Exportboom befeuert. Viele wollten sie nur zu gern glauben – und zwar bis heute. Anders jedenfalls ist nicht zu erklären, mit welchem Einsatz Automobilhersteller daran arbeiten, diese Geschichte auch in Zukunft erzählen zu können.

Anfang Dezember in der Berliner Zentrale des Verbandes der deutschen Automobilindustrie. Der Verband hat schwere Monate hinter sich. Es kommen Politiker, Hersteller und Zulieferer zusammen, um sich die Antwort des Verbandes zum Abgasskandal anzuhören. Volkswagen hatte seine Lösung zuvor bereits öffentlich vorgestellt: Es soll nur ein bisschen an der Software herumgeschraubt werden. Einige Motoren bräuchten zudem noch einen sogenannten Strömungsgleichrichter – nicht viel mehr als einfaches Plastikbauteil vor dem Motor, von dem keiner so richtig weiß, wie es die Abgaszusammensetzung wirklich beeinflussen kann. An diesem Tag bleiben vor allem ratlose Gesichter zurück. Kann ein Konzern tatsächlich seine Existenz aufs Spiel setzen, weil er ein Stück Plastik für ein paar Euro sparen wollte? Es passt nicht zu dem, was man sonst noch macht. Denn während hier der Saubermann gegeben wird, geht in Brüssel die Lobbyarbeit gegen wirksame Messmethoden weiter und Anwaltsbüros gehen mit harten Bandagen gegen alle vor, die Zweifel an den Abgaswerten haben. Das Ziel ist klar: Verband und Industrie versuchen weiter, die Geschichte vom „sauberen“ Diesel zu erzählen. Zu sehr ist die Geschichte zum Kern der eigenen Erzählung vom Klimaschutz geworden und auch die Politik hat sie nur zu gern übernommen. Noch immer ist Volkswagen ein Betrieb, bei dem ohne staatliche Zustimmung nichts geht. Nach wie vor redet man ungern von der fatalen Wirkung der Dieselsubvention und der Verkehrsminister hat lediglich eine anonyme Kommission eingesetzt, die nur das herausfindet, was vorher schon in der Zeitung stand.

Das Signal ist eindeutig: Sie haben nicht verstanden. Viel existenzbedrohender als der Betrug an den Käufern ist die Sturheit, mit der immer weiter in die Sackgasse gefahren wird. Wir haben erlebt, mit welcher Innovationskraft Unternehmen aus der Garage ganze Märkte aufrollen. Weiß noch jemand, dass Siemens einst Handys produzierte? Was ist eigentlich aus dem einstigen Marktführer Nokia geworden? Innerhalb weniger Jahre dominierte ein Computerhersteller den Mobilfunkmarkt. Die Parallelen drängen sich geradezu auf: Vor gerade einmal zwölf Jahren gründete der Softwarebastler Elon Musk ein Automobilunternehmen und schaffte in nicht einmal drei Jahren das, wozu altgediente Hersteller auch nach Jahrzehnten nicht in der Lage sind: Ein serienreifes Elektrofahrzeug mit großer Reichweite auf den Markt zu bringen. Ein weiteres Modell ist inzwischen auf dem Markt, der SUV kommt und es gibt bereits ein käufliches System zum teilautomatischen Fahren. Mit gediegenem Design, innovativer Technik und Showrooms in bester Lage zielt Tesla geradezu ins Herz des deutschen Selbstverständnisses vom Autobau. Was bleibt, wenn Innovationen wie funktionierende und bezahlbare Elektroantriebe, Systeme für autonomes Fahren und Design aus Kalifornien kommen? Schneller als wir es uns vorstellen können, könnte dann auch auf Autos stehen: „Designed in California – Assembled in China/ Entwickelt in Kalifornien. Zusammengesetzt in China.“

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