"Die Gedanken sind frei" – Warum schreckt Politik die Menschen ab?

Derzeit scheint die Politik von einer Paralyse befallen zu sein. Es wird verbal nur noch auf den Gegner eingeschlagen. Ein Austausch von Argumenten zum Erarbeiten von Lösungen für die Probleme dieser Gesellschaft findet im Plenarsaal nicht mehr statt. Die Bevölkerung schaut erstaunt auf dieses politische Schauspiel und fragt sich, wie lange das ihre gewählten Vertreter noch weiter treiben wollen. Meine Bestandsaufnahme zur derzeitigen politischen Situation und dem abschreckenden Verhalten der Politiker habe ich in einem Gastbeitrag zusammengefasst, der am 22.09.2018 im Wedel-Schulauer-Tageblatt erschienen ist.

25.09.18 –

Gastbeitrag im Wedel-Schulauer-Tageblatt vom 22.09.2018


 „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei: die Gedanken sind frei.“

Hoffmann von Fallersleben, der Schöpfer der deutschen Nationalhymne, hat dieses deutsche Volkslied 1842 aufgezeichnet. In Zeiten politischer Unterdrückung und Gefährdung wurde dieses Lied immer wieder vom Volk angestimmt. So auch 1948 während der Berliner Blockade nach der Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Ernst Reuter an die Völker der Welt, Berlin nicht zu vergessen.

Wie sieht die Situation heute aus? Wäre dieser Liedtext in der heutigen Situation wieder aktuell? Leider ja wenn ein Blick darauf geworfen wird, was zur Zeit passiert: „Wir sind gefangen in einer toxischen Erregungsschleife“, so stand es nach den Ereignissen in Chemnitz in der Zeitung „Die Welt“. Nils Minkmar hat das in einem Kommentar in der Zeitschrift „Der Spiegel“ zusammengefasst zu „Ein Land steht still“. Diese politische Paralyse hat sich langsam in die politischen Prozesse eingeschlichen. Es wird schwer werden, wieder einen Weg heraus und nach vorne zu finden. Denn die Zukunftsfragen dieser Gesellschaft wie

  • Absicherung in sozialen Notlagen und im Alter,
  • bezahlbare Wohnungen,
  • nachhaltige Mobilität,
  • zukunftsfähige Landwirtschaft,
  • Klimaschutz,

um nur einige wenige aufzuzählen, harren einer Lösung die länger halten muss als nur eine Wahlperiode.

Stattdessen beschäftigt sich die Politik nur noch mit dem Thema Migration und den Folgen. Diese Debatte ist ein perpetuum mobile. Mit jedem neuen Ereignis erhält die Debatte wieder neuen Schwung. Denn irgendwo steckt angeblich immer ein Migrant dahinter.

Die politische Diskussion hat sich scheinbar aufgeteilt in nur noch zwei Lager: die weltfremden Gutmenschen und die Nazis. Diese massive Verkürzung führt die politische Debattenkultur in Deutschland und leider auch in Europa immer mehr in die Irre. Die Gesellschaft erregt sich immer mehr, eine Lösung wird aber nicht gefunden. Denn hat jemand mal eine Idee für eine Lösung, wird er von der einen Seite sofort als Nazi verdammt und von der anderen als Träumer.

Wie kommt so ein Debattenstil bei den Menschen vor Ort an? Bei der schweigenden breiten Mehrheit der Bevölkerung? Dazu müssten die Politiker aus ihren Echokammern der sozialen Netzwerke heraus kommen und in das echte Leben hineinhorchen, also zuhören. Oder besser noch in die Menschen hineinhören, wie es so trefflich der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann sagt.

Mittlerweile mache ich nach 8 Jahren im Bundestag nur noch in meiner Freizeit Politik und habe im Alltag wieder den Kontakt in dieses normale Berufsleben. Und dort wird von allen, mit denen ich darüber sprechen kann, nur noch der Kopf geschüttelt über das Verhalten der Politik. Wenn ich das in einem kurzen Satz zusammenfassen soll: ihnen graust es vor dem Verhalten der Politiker, im wesentlichen mit Stereotypen aufeinander einzudreschen.

Die Bereitschaft, im Plenarsaal echte Lösungsansätze zu diskutieren, die auch eine Chance auf Verwirklichung hätten, ist nicht zu erkennen. Denn dazu müsste Kompromissfähigkeit vorhanden sein. Vor allem müsste ausgelotet werden, wo bei den anderen die Schmerzgrenzen sind. Das kostet richtig Mühe. Robert Habeck hat sich dieser Mühe unterzogen, bei den Verhandlungen zur Trassenführung der Westküstenleitung oder bei den Jamaika-Verhandlungen in Berlin. Diese Mühe lohnt sich. Denn das erwarten die Menschen von den handelnden Politikern: gemeinsam getragene Lösungen, die mehr als nur Wahlkampfklamauk sind und länger als eine Wahlperiode halten.

Geboten bekommen die Menschen aber immer wieder nur hysterische politische Aufgeregtheiten. Dabei schalten sie ab. Sie gehen für die Politik verloren und kümmern sich lieber um Familie, Hobbys oder Reisen. Dazu lohnt ein Blick auf die Wahlbeteiligungen. Die sprechen Bände. Da geht es praktisch nur noch abwärts, auf allen Ebenen. Die stärkste Fraktion wäre mittlerweile fast überall die „Fraktion der Nichtwähler“.

Aber scheinbar kommen diese Erfahrungen in den Parlamenten gar nicht mehr an. Dort sitzen die Parlamentarier warm und gut versorgt. Sie ergötzen sich an diesen sogenannten parlamentarischen Verhaltensweisen und freuen sich, wenn der politische Gegner mal wieder vorgeführt wurde.

Mein Appell an alle Politiker: kommen sie bitte raus aus dieser Endlosschleife! Machen sie Debatten wieder zu einem echten Austausch von Argumenten und nicht nur zu einer Beweihräucherungsshow für die eigene Klientel. Akzeptieren sie abweichende Positionen von Andersdenkenden. Hinterfragen sie diese gerne und debattiert sie, aber diskriminiert sie nicht von vornherein als rechts oder links, als gut oder böse. So könnten wir wieder in einen ernsthaften lösungsorientierten Diskurs miteinander kommen. Das erwarten die Menschen in diesem Land von den handelnden Politikern, von den Parteien. Denn die Gedanken sind und bleiben in einer Demokratie frei, hier in Deutschland und im vereinten Europa.

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Pressemitteilung | Wahlkreis