Piraterie geht uns alle an

Gastkommentar im LT-Manager Mai/Juni 2011 Die Entführungen nehmen zu, aber die Bundesregierung wirkt ratlos. Die Lage vor Somalia ist weit davon entfernt, aus der Sorgen-Agenda der Reeder zu verschwinden. In LT-Manager veröffentlicht Valerie Wilms einen Weckruf, warnt aber: "Der Weg wird lang und steinig."

07.05.11 –

Gastkommentar im LT-Manager Mai/Juni 2011

Die Entführungen nehmen zu, aber die Bundesregierung wirkt ratlos. Die Lage vor Somalia ist weit davon entfernt, aus der Sorgen-Agenda der Reeder zu verschwinden. In LT-Manager veröffentlicht Valerie Wilms einen Weckruf, warnt aber: "Der Weg wird lang und steinig."

Ob Wein aus Australien oder Spielzeug aus China – über 90 Prozent des Welthandels werden mit Frachtern auf den Ozeanen abgewickelt und nichts ist kostengünstiger als der Transport auf See. Kaum jemand nimmt wahr, wenn von diesem geringen Transportkostenanteil etwa ein Prozent durch Piraten geraubt oder unbrauchbar gemacht wird. Derzeit sind deswegen vor allem die Logistiker mit den Problemen konfrontiert: Reeder haben nicht nur Millionen an Lösegeldern zu zahlen, sondern müssen in die Abwehr investieren und den Verlust ganzer Ladungen oder Charterausfälle kompensieren. Die Bundesregierung agiert bisher ratlos und schiebt die Verantwortung von einem Ministerium zum nächsten – oder lässt den maritimen Koordinator allen Ernstes empfehlen, einfach um Afrika herumzufahren.

Die bisherigen Maßnahmen sind vor allem technisch und militärisch. Sie zeigen Wirkung, von einem echten Erfolg kann man jedoch nicht sprechen. Die Piraten passen sich an und brauchen immer weniger Angriffe, um Schiffe zu entführen. Konnte die Besatzung der „Magellan Star“ im September 2010 noch gerettet werden, nachdem sie sich in einen speziell gesicherten Raum zurückgezogen hatte, brauchten die Kaperer der „Beluga Nomination“ im Januar 2011 nur noch zwei Tage um einen solchen Raum zu öffnen. Es wird aufgerüstet und die Brutalität gesteigert. Bleiben wir bei den jetzigen Ansätzen, wird sich eine international agierende neue Form der organisierten Kriminalität etablieren: Hoch professionell, sehr brutal und vielleicht sogar zusammen mit Terroristen. Schon jetzt sind komplexe Netzwerke am wirken: In Somalia hat sich bereits eine Art Börse etabliert, auf der man Besatzungen für Überfälle zusammen stellen kann. Lösegelder sind bei der Übergabe bereits so in Teilbeträge verpackt, dass in Windeseile alle Hintermänner und Banden ihren Beuteteil bekommen. Es ist eine Ökonomie entstanden, die zum großen Teil auf schwerer Kriminalität aufbaut und die kriegerischen Konflikte weiter anheizt.

Auf diese Entwicklung muss reagiert werden. Nicht nur die Reeder allein, sondern Politik und internationale Gemeinschaft müssen die Piraterie und die Situation in Somalia als gemeinsame transnationale Herausforderung sehen. Es wird keinen einfachen und schnellen Weg geben. Die Bereitschaft in wohlhabenden Ländern ist gering, um angesichts schwieriger Haushaltslagen in die Lösung eines Konflikts zu investieren, der schon in den neunziger Jahren verloren gegangen scheint. Dennoch müssen wir diesen Weg gehen, denn besonders Deutschland als Exportnation ist dauerhaft auf sichere und zuverlässige Handelswege angewiesen. Wollen wir dauerhaft in Frieden und Wohlstand leben, müssen auch die Menschen in anderen Ländern ihre Chance bekommen.

Was also ist zu tun? Lösungsansätze sind vor allem in Afrika und Somalia zu suchen. Auch wenn es schön wäre, müssen wir dazu nicht ein ganzes Land demokratisieren, sondern sollten statt dessen die noch vorhandenen Zivilstrukturen unterstützen. Dazu müssen vor allem Alternativen zur Piraterie als Lebensgrundlage gefördert werden – wie etwa der Export von Viehprodukten oder Hilfen bei der Fischerei. Gleichzeitig müssen die Schwerverbrecher auch wie Schwerverbrecher verfolgt werden. Bisher erhalten sie so viel Aufmerksamkeit wie nie zuvor in ihrem Leben, wenn sie in Hamburg vor Gericht stehen – oder sie werden gleich zur somalischen Küste gebracht und frei gelassen. Echte Abschreckung sieht anders aus. Deswegen sollten wir unter UN-Führung versuchen, die Piraten und ihre Hintermänner mit juristischen Mitteln in Afrika zu verfolgen. Dazu könnte man auf die Strukturen des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda zurückgreifen und dafür sorgen, dass dort zunächst gemeinsam somalische und internationale Richter Urteile über die Seeräuber sprechen. Später könnte man versuchen, diese Erfahrungen in den stabileren Teilen Somalias wie Puntland und Somaliland anzuwenden und lokale Gerichtsbarkeiten aufzubauen. Das wird ein langsamer und steiniger Weg sein – aber alles andere würde die Lage nur weiter verschärfen und dann auch unsere Lebensgrundlagen betreffen.

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