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Eine Bundesrepublik 2.0 in einem vereinigten Europa schaffen

nordschleswiger.dk - Deutsche Tageszeitung in Dänemark vom 17. Januar 2012 Als eine „Frau der klaren Worte“ hatte Hinrich Jürgensen, Hauptvorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger, die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Valerie Wilms, angekündigt. Und die Teilnehmer der Neujahrstagung in Sankelmark wurden nicht enttäuscht. [externer Link] [Rede von Valerie Wilms vom 14. Januar 2012]

17.01.12 –

nordschleswiger.dk - Deutsche Tageszeitung in Dänemark vom 17. Januar 2012

Die schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Dr. Valerie Wilms in Sankelmark über Deutschland an der Jahreswende

Als eine „Frau der klaren Worte“ hatte Hinrich Jürgensen, Hauptvorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger, die Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Valerie Wilms, angekündigt. Und die Teilnehmer der Neujahrstagung in Sankelmark wurden nicht enttäuscht.

Die streitbare und lebhafte Rednerin hatte sich trotz Listenaufstellungsparteitags der Grünen in Schleswig-Holstein auf den Weg in den Norden gemacht. Im vergangenen Jahr war sie als Teilnehmerin Gast in Sankelmark.

Valerie Wilms forderte vehement – auch gerade vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen in Deutschland – mehr „Bodenhaftung“ der Politiker ein. Sie selbst werde nur zwei Legislaturperioden antreten, versicherte sie. Denn allzu leicht, so ihre Erfahrung, vergessen Politiker, dass sie „ ein Amt auf Zeit bekommen haben“. Allerdings muss dann finanziell dafür gesorgt werden, dass es auch andere als Beamte sich leisten können, in die Politik zu gehen, so ihre Replik auf einen Diskussionsbeitrag von Leif Nielsen.

Ihr inhaltliches Anliegen in der Politik ist die Schaffung einer „Bundesrepublik 2.0 in einem vereinigten Europa. Damit war grob Wilms Ansinnen umrissen, die Bürger viel mehr an der Politik zu beteiligen. Dazu stellt sich die Abgeordnete einen neuen Parlamentarischen Rat vor, der ein neues Grundgesetz entwirft, das diesem Vorhaben ernsthaft Rechnung trägt. Als Vorbild nannte sie die Schweiz mit ihren Volksabstimmungen.

Damit könne der Parteienverdrossenheit der Bürger begegnet werden, die sich nicht länger „verschaukeln“ lassen wollen. Die Bürger hätten keine Lust mehr auf Wahlversprechen, die nicht eingehalten werden. „Es muss Ehrlichkeit in die Politik einziehen.“ Der Zulauf zur Piratenpartei zeige das Bedürfnis nach Transparenz. „Das ist ein Weckruf an die etablierte Politik“ und dazu zählen nach Wilms Aussage mittlerweile auch die Grünen.

Die Europäischen Union und den Euro – „an dem Sie mit ihrem festen Wechselkurs auch dranhängen!“ – sah Wilms in der „tiefsten Krise. Das habe ich lange nicht für möglich gehalten“. Dabei unterstrich sie: „Europa soll nicht eine abstrakte Idee sein, sondern vom Menschen ausgehen.“ Deshalb habe man sich beispielsweise auch für den Schengen-Raum entschieden. „Das soll nicht wieder eingerissen werden“, so ihr Hinweis auf die dänischen Grenzdebatten.

In ihrer politischen Tour d'horizon analysierte sie die Machtverhältnisse in der Wirtschaftswelt und stellte fest: „Die wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte sind stärker als die Politik.“ Wirtschaftspolitik werde nicht im Bundestag gemacht, sondern von den Akteuren im Wirtschaftsleben.
Die zentrale Rolle, die Wirtschaft und Finanzen derzeit spielen, lenken nach Ansicht von Wilms ab von anderen wichtigen Politikfeldern. Es darum „Europa demokratisch aufzubauen. Wir wollen ein Europa der Menschen und haben derzeit ein Europa der Regierungen.“

Eine Besserung dieser Lage wie auch der Finanzen erwartet die grüne Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Pinneberg nicht in absehbarer Zeit. Der riesige Schuldenberg – in Deutschland 2,1 Billionen Euro – werde nicht abzutragen sein. „Es wird darum gehen, die Schulden weniger wert zu machen“, verwies Wilms auf die Inflation. Dieser Weg, den die Amerikaner derzeit gehen, sei aber schwierig innerhalb der EU zu nutzen. „Gelddrucken geht nur als Gesamteuropa“.
„Wir haben nicht nur eine Euro-, sondern auch eine Banken-, Schulden- und Finanzierungskrise“, lautete ihre düstere Analyse. In dem Zusammenhang machte sie auch der Minderheit keine Hoffnung auf steigende Zuschüsse. Auf Nachfrage von Philipp Iwersen sprach sie sich aber auch auf Bundesebene für eine langfristige Planungssicherheit aus, wie sie jetzt voraussichtlich für die schleswig-holsteinischen Mittel erreicht werden kann.

Die Entscheidungen, die sie und ihre Kollegen jetzt in immer schnellerem Takt fällen müssen – bestürmt von Lobbyisten, Experten, EU-Unterlagen und Gesetzesvorlagen – haben Einfluss auf den Leben nachfolgender Generationen, rief sie in Erinnerung. „Manchmal haben wir nur Stunden, um dicke Vorlagen zu lesen. Diese Schnelligkeit zeigt die volle Dramatik der Situation.“ „Und es gibt keine einfachen Antworten“, fügte sie hinzu. Wenn es ans Streichen geht, „ruft jeder: bei mir nicht“. Ähnliches gelte auch für den Bundesverkehrswegeplan. Jeder wolle seine Wünsche durchsetzen. „Dabei sollten wir die ehrliche Frage stellen: Was können wir uns leisten. Was brauchen wir wirklich.“ Auch Harald Søndergaard, der nach weiteren grenzüberschreitenden Straßenverbindungen gefragt hatte, beschied sie mit der Aussage: „Wir haben nicht einmal genug Geld, um die bestehenden zu unterhalten.“ In Zukunft, wenn das Erdöl noch viel teurer werde, gehe es um einen intermodalen Ansatz. Dazu gehört dass der Güterschienenverkehr drastisch ausgebaut wird. Es wird E-Autos gehen, aber auf dem Lande, wo der öffentliche Personennahverkehr nie ausreichend ausgebaut werden kann, auch weiter Individualverkehr. Allerdings setzt Wilms hierbei auch auf „Car-Sharing.“ „Die Bahn muss die Autobahn der Zukunft werden“, so die Bundetagsabgeordnete.

Der Minderheit machte sie das Kompliment: „Sie sind Europäer, sie haben Verständnis dafür, dass wir alle in einem Boot sitzen. Die Minderheiten sind wichtig, sie müssen einbezogen werden. Wenn wir die Minderheiten vergessen, können wir Europa vergessen.“ Und sie fügte hinzu: „Lasst uns die Idee der Vereinigten Staaten von Europa durchaus einmal denken.“

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