Der Weitblick fehlt

Beitrag für Traffic Tech - Magazin für Verkehrs-High Tech 5-6/2013 Vielleicht sollten wir weniger über den Zustand der Verkehrsinfrastruktur sprechen als über den Zustand der Verkehrspolitiker in Deutschland. Eine Bewertung des Koalitionsvertrages. 

18.12.13 –

Beitrag für Traffic Tech - Magazin für Verkehrs-High Tech 5-6/2013

Vielleicht sollten wir weniger über den Zustand der Verkehrsinfrastruktur sprechen als über den Zustand der Verkehrspolitiker in Deutschland. In den vergangenen Jahren haben sich drei Kommissionen mit der Zukunft der deutschen Straßen, Schienen und Wasserstraßen beschäftigt. Pünktlich zur Wahl wurde ein weiterer, von Politikern, Experten und Verbänden erarbeiteter Bericht vorgelegt – und einstimmig verabschiedet von einer Sonder-Verkehrsministerkonferenz. Mit am Tisch saßen Minister von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen. Parteiübergreifend lag damit eine klare Analyse des Zustands und der Instrumente vor, wie wir auch zukünftig unsere Verkehrswege erhalten und bezahlen können: Der Bericht hält fest, dass mindestens 7,2 Milliarden Euro jährlich für die Verkehrsinfrastruktur fehlen und in den kommenden Jahrzehnten Erhalt und Sanierung eine vorrangige politische und finanzielle Herausforderung sind. Der Bericht schlägt ein Sondervermögen "Nachholende Sanierung" mit jährlich 2,7 Mrd. Euro zur Sanierung und Infrastrukturfonds für den Erhalt von Schienen und Straßen vor. Mit solchen Sondervermögen bzw. Finanzierungsfonds würden die Mittel fest zur Verfügung stehen.

Nachholende Sanierung

Heute können die Mittel mit jeder Haushaltsverhandlung und jedem Regierungswechsel in Frage gestellt werden und treiben durch den Aufschub von Investitionen die Kosten immer weiter in die Höhe. Denn in der Realität ist es so: Nach einer Wahl müssen viele Versprechen erfüllt werden und neue Maßnahmen haben fast immer Vorrang vor Reparaturen. Verheißungen wie Mütterrente, Betreuungsgeld oder neue Straßen sind für Politiker viel attraktiver als mühsame und viel langsamere Reformen am System. Dieses Problem wollte die Kommission mit Sondervermögen und Fondfinanzierungen wenigstens bei der Verkehrsinfrastruktur lösen.

Daneben gab es weitere Vorschläge, wie es zukünftig besser laufen könnte. So werden im Bericht Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen mit Anreizsystemen als mögliche Maßnahme zur effizienten Mittelverwendung auch im Straßenbau gesehen. Dazu wird eine Anschlussfinanzierung für die kommunale Straßenfinanzierung (die sogenannten Entflechtungsmittel) und den öffentlichen Personennahverkehr auf der Schiene (die sogenannten Regionalisierungsmittel) gefordert. Auch ein Stufenplan zur Umsetzung fand die breite Mehrheit der Verkehrsminister von Bund und Ländern. Das Papier wurde am 2. Oktober beschlossen, drei Wochen später begannen die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD.

Mit am Tisch saßen teilweise die gleichen Leute: Peter Ramsauer von der CSU, Christian Carius von der CDU und Michael Groschek von der SPD. Wenn man den Koalitionsvertrag jetzt liest, fragt man sich, wo die Verkehrspolitiker von Union und SPD bei den Verhandlungen tatsächlich gewesen sind und wer von ihnen den Kommissionsbericht wirklich gelesen hat: Statt den notwendigen 7,2 Milliarden jährlich sollen nun in vier Jahren nur fünf Milliarden „zusätzlich mobilisiert“ werden – das ist weniger als ein Fünftel des Notwendigen.

Vollständig gestrichen

Dabei bleibt unklar, wo die versprochenen fünf Milliarden herkommen sollen. Sollten sie tatsächlich aus dem Haushalt kommen, müsste der überarbeitete Haushalt für 2014 mit der Mittelfristplanung bis 2018 demnach mindestens fünf Milliarden Euro höher liegen als der derzeitige Haushaltsentwurf. Man darf gespannt sein, ob das die neue Koalition tatsächlich umsetzt. Eher kann man vermuten, dass zu diesen zusätzlichen Mitteln auch die Bahndividende, eine vielleicht zum Ende der Wahlperiode kommende Ausweitung der LKW-Maut und Öffentlich-Privaten-Partnerschaften gezählt werden, welche die Verbindlichkeiten einfach in die Zukunft verschieben. Das geforderte Sondervermögen "Nachholende Sanierung" findet im Koalitionstext keine Erwähnung mehr. Ebenso Fehlanzeige: Die Erhaltungsfonds oder Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen für die Straße. Diese wurden vollständig aus einem ersten Entwurf gestrichen – obwohl damit bis zu zehn Prozent Einsparungen möglich sind.

Die angemahnte und im Kommissionsbericht umfassend begründete neue Systematik der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung wird es so nicht geben, denn unter der im Koalitionsvertrag erwähnten Schaffung „haushaltsrechtlicher Voraussetzungen“ können auch die bisher üblichen Verpflichtungsermächtigungen und Haushaltsvermerke verstanden werden, die uns dorthin geführt haben, wo wir jetzt schon stehen. Auch eine Erhöhung der Erhaltungsmittel für die Schiene sucht man vergebens; ebenso konkrete Äußerungen zur zukünftigen Finanzierung des kommunalen Straßenbaus und des regionalen Personennahverkehrs.

Zwar steht „Erhalt und Sanierung vor Aus- und Neubau“ als Prinzip im Vertrag, aber die Mittel dürfen weiter zwischen Erhaltung und Neu- und Ausbau hin und her geschoben werden. Dazu soll es eine „wechselseitige Deckungsfähigkeit mit Ausgleichspflicht“ zwischen den Verkehrsträgern geben. Dabei bleibt offen, wann und wie ein Ausgleich erfolgen soll – im Prinzip könnten damit Gewinne der Deutschen Bahn auch erst einmal für Autobahnen ausgegeben werden.

Kleiner Lichtblick

Ein kleiner Lichtblick ist ein neuer Verkehrsinfrastrukturbericht, der zukünftig Aufschluss über den Sanierungsbedarf geben soll. Man kann sich das fast nicht vorstellen, aber der Bundeshaushalt achtet bis heute nicht auf den Erhalt der geschaffenen Werte. Wertverluste, die nun einmal bei Investitionsgegenständen wie Straßen völlig normal sind, spielen bei der Haushaltsaufstellung bis heute keine Rolle. Abschreibungen oder Rückstellungen sind nicht vorgesehen. Die Politik will deren Höhe gar nicht erst wissen, denn dann würde ja sofort transparent werden, wie wenig sich Politik für die Generationengerechtigkeit interessiert und dafür lieber kurzfristige Schaumschlägerei mit Wahlkampfhilfen in Beton macht. Zwar kann man im dicken Wälzer „Haushaltsplan“ sehen, welche Straßen zu welchen Kosten neu gebaut werden sollen – über die mindestens erforderlichen Mittel zum Erhalt der schon geschaffenen Verkehrsanlagen erfährt die Politik dagegen nichts. Jedes Unternehmen würde an so einer Vorgehensweise zu Grunde gehen. Ein Verkehrsinfrastrukturbericht kann uns hier wenigstens etwas weiter helfen. Jetzt kommt es darauf an, wie detailliert und verständlich er ist, denn eigentlich wäre eine Vermögensbilanz notwendig, also eine Übersicht des jährlichen Vermögensverzehrs durch Abschreibungen.

Wer erwartet, dass parteiübergreifend in Kommissionen entwickelte Konzepte am besten von einer großen Koalition umgesetzt werden können, wird enttäuscht. Da hilft es offensichtlich nicht einmal, dass die gleichen Leute am Tisch sitzen. Fast alle konkreten Ansagen wurden im Laufe der Verhandlungen wieder gestrichen oder sind allgemeinen Bekenntnissen gewichen.

Unverbindlichkeit

Im Koalitionsvertrag hat sich damit die Unverbindlichkeit von Angela Merkel als Politikkonzept auch in der Verkehrspolitik durchgesetzt. Der Weitblick fehlt und wie bei der Rentenpolitik werden unsere Kinder und Enkel für die Mutlosigkeit von heute zahlen müssen. Im Ergebnis dürfte dies heißen: Das Fahren auf Sicht wird auch zukünftig die Maxime beim Erhalt der Verkehrsinfrastruktur sein. Die „Schlaglöcher“ der Verkehrspolitik werden entweder gar nicht oder erst dann repariert, wenn der Verkehr still steht.

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