Die Zukunft der Tonnagesteuer

Rede in der Handelskammer Hamburg Auf Einladung von TPW Todt & Partner und der Hamburg School of Business Administration stellte Valerie Wilms ihre Kritik an der aktuellen Ausgestaltung der Tonnagesteuer - einer Art Flat-Tax für Schiffseigentümer - vor und forderte Änderungen. Das heutige Steuersparmodell müsse abgeschafft werden.

31.08.12 –

Rede in der Handelskammer Hamburg

Zunächst einmal möchte ich mich für die freundliche Einladung zur heutigen Veranstaltung bedanken. Es ist mir eine Ehre, hier vor Hamburger Fachpublikum [hauptsächlich aus der maritimen Branche] meine Einschätzungen zur Zukunft der Tonnagesteuer vorstellen zu können.

Die Schifffahrt befindet sich seit mehreren Jahren in einer Krise. Darunter haben vor allem die Reedereien zu leiden, oder waren sie vielleicht auch die Verursacher? Auch die Schiffsfinanzierer haben Probleme, da derzeit kaum noch Güterschiffe in Auftrag gegeben werden. Hier in Hamburg erzähle ich auch nichts Neues, wenn ich auf die Folgen für die Häfen verweise, die lange Zeit starke Umschlagseinbußen zu verzeichnen haben. Es ist keine Frage: Die Branche hat deutlich bessere Zeiten erlebt. Interessant ist dabei, dass sich die Branche damit untypisch verhält. Deutschland boomt trotz der internationalen Krise, viele Arbeitsplätze entstehen und auch die Seetransporte steigen nach einem Knick wieder an. Viele Reeder und Schiffsfinanzierer aber stecken noch immer in Problemen. Diese Probleme sind nach meiner Ansicht – mit tatkräftiger politischer Unterstützung, oder sagen wir besser kurzsichtiger Unterstützung –  hausgemacht und hängen wesentlich mit der sogenannten Tonnagesteuer zusammen.

Eventuell befinden sich auch Gäste hier, die bisher noch nicht viel von der Tonnagesteuer gehört haben. Daher an dieser Stelle eine kurze Erläuterung: Korrekt betrachtet ist sie keine Steuer sondern eine Form der Gewinnermittlung. Weil der Begriff „Tonnagesteuer“ jedoch geläufiger ist als „Tonnagegewinnermittlung“, will ich bei diesem Begriff bleiben. Die Tonnagesteuer ist eine Option, den Gewinn von Seeschifffahrtsgesellschaften zu ermitteln. Eine Gesellschaft kann sich für einen Zeitraum von 10 Jahren entscheiden, ob sie pauschal nach Tonnage oder konventionell mit Gewinn- und Verlustrechnung besteuert werden will.

Bei der Tonnagesteuer handelt es sich damit um eine Art „Flat-Tax“, die für die Jahre des Optionszeitraums nahezu konstant ist. Sie bemisst sich nach Größe des Schiffes, Betriebstagen und dem im Gesetz (§ 5a EStG) festgeschriebenen Faktor.

Die Tonnagesteuer ist als ein Instrument der Politik gedacht gewesen, um die nationale Schifffahrtsbranche im Land zu halten. In Deutschland ist sie seit 2003 Teil der politischen Rahmenbedingungen für den maritimen Standort und Teil des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt. Innerhalb dieses Bündnisses hat der Bund den Reedern die Tonnagesteuer zusichert. Im Gegenzug sollten die Reeder wieder 600 internationale Handelsschiffe unter deutscher Flagge fahren lassen und damit die Bedingungen für die Seeleute verbessern.

Die Zahlen zum Führen der deutschen Flagge lassen aber nicht zufrieden stimmen. Die Versprechen der Reeder wurden leider nie eingehalten. Das Verhältnis zwischen Schiffen deutscher Reeder unter deutscher Flagge und Schiffen deutscher Reeder, die eine fremde Flagge führen geht immer mehr auseinander: Seit der Einführung der Tonnagesteuer 1999 gibt eine starke Spreizung: Anfangs war das Verhältnis zwischen deutscher und fremder Flagge noch ausgeglichen – es gab ca. 700 von beiden. Das hat sich radikal geändert: Heute sind 496 Schiffe unter deutscher Flagge und 3.159 Schiffen unter fremder Flagge. (Zahlen von Juli 2012 laut BSH).

Und damit sind Arbeitsplätze für deutsche hochqualifizierte Seeleute, die wir in Deutschland in unseren guten anerkannten Ausbildungseinrichtungen ausbilden, massiv gefährdet. Wir setzen so auch unseren gesamten nautischen Nachwuchs aufs Spiel, den wir in anderen Bereichen, wie z. B. bei den Lotsen oder der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung brauchen.

Es gab also bei der deutschen Flagge einen Rückgang um 33 %, während sich die Fremdflaggen fast vervierfacht haben. Auffällig ist, dass die starke Spreizung mit der Einführung der Tonnagesteuer beginnt. Offensichtlich hängt beides zusammen – obwohl die Politik das Gegenteil erreichen wollte.

Wir können also festhalten: Die Politik hat ihr Ziel nicht erreicht, mehr Schiffe unter deutscher Flagge zu führen. Gleichzeitig hat die Tonnagesteuer dazu beigetragen, dass die Branche – Reeder und Werften – massiv in Schieflage geraten ist.

Die Tonnagesteuer ist zwar quasi ein internationaler Standard. In Deutschland gibt es allerdings eine Besonderheit. Hier bei uns hat die Tonnagesteuer direkte steuerlich Wirkung bei den Anteilseignern. Konkret sind das die Kommanditisten in einer GmbH & Co. KG. Möglicherweise ist ihnen aufgefallen, dass die meisten deutschen Schiffsgesellschaften in dieser Rechtsform bestehen. Ein wesentlicher Grund ist die deutsche Form der Tonnagebesteuerung. Denn hier in Deutschland werden die Anteile der Kommanditisten nach Tonnagesteuer besteuert und nicht direkt bei Schiffsgesellschaft. Das kann günstiger sein als eine normale Besteuerung.

Die Folgen dieser Besonderheit kennen Sie: Schiffsbeteiligungen waren in den letzten Jahren ein sehr beliebtes Anlagemodell. Der Grund lag in erster Linie im Anreiz Steuern zu sparen. Damit wurde die Schiffsfinanzierung subventioniert und ein Markt angeheizt, den es in dieser Größe nicht gab. Heute haben wir viel zu viele Schiffe, die Preise sind im Keller und Schiffsfinanzierer in Schieflage. Auch viele Anleger, die eigentlich Steuern sparen wollten, mussten letztendlich als Anteilseigner Geld nachschießen. Viel Geld ging verloren.

Die Tonnagesteuer ist derzeit nicht direkt an die deutsche Flagge gebunden. Wie eingangs erwähnt, ist die Tonnagesteuer ein Beitrag des Bundes für die Reeder. Damit sollte die nicht ortsgebundene Seeschifffahrt an den Standort Deutschland gebunden werden. Doch wie hoch ist der Preis dafür? Der Monitoring-Schiffsbestand erholt sich auch vier Jahre nach Beginn der Schifffahrtskrise nicht. Inzwischen sollte bereits seit mehreren Jahren 600 Schiffe unter deutscher Flagge angepeilt sein, doch der Monitoringbestand stagniert bei rund 500 Schiffen.

Die Reeder haben sich 2003 im Maritimen Bündnis dazu verpflichtet, Stück für Stück mehr Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen. Dies soll auch eingehalten werden, damit das Maritime Bündnis weiterhin Bestand hat. Ansonsten müsste man sich über Sanktionen Gedanken machen, um die Ziele, die im Maritimen Bündnis beschrieben sind, zu erreichen. Denn die Ziele sind gut, um den Schifffahrtsstandort Deutschland auch zukunftssicher und wettbewerbsfähig zu gestalten.

Wir können uns darüber streiten, ob die Tonnagesteuer eine Subvention ist oder nicht. Der Bundesrechnungshof zählt sie jedenfalls dazu und die Bundesregierung führt die Tonnagesteuer sogar als eine der 20 größten Subventionen auf. Andere Seiten sprechen davon, dass die Tonnagesteuer eine Lebensgrundlage der Seeschifffahrt darstelle, und daher nicht zu den Subventionen gezählt werden solle. Durch die Wanderbereitschaft der Schifffahrtsunternehmen an den Ort mit den besten steuerlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen sei dies eine Förderung, um die man nicht umhin käme.

Fakt ist, dass die maritime Branche sehr von der Steuer profitiert hat. In Summe kommt die deutsche Seeschifffahrt sogar auf einen Gesamt-Förderbetrag in Höhe von über 5,5 Mrd. Euro von 2004 bis 2011, wenn man den Finanzbeitrag für die Seeschifffahrt, die teilweise Nichtabführung der Lohnsteuer bei Seeleuten und die Ausbildungsbeihilfe mitzählt. Dabei nimmt die Tonnagesteuer mit ca. fünf Mrd. Euro den größten Posten ein.

Im Rückblick müssen wir uns aber fragen, was wir mit dem maritimen Bündnis und der Förderung der Branche tatsächlich erreicht haben. Es ist im Prinzip egal, ob wir die Tonnagesteuer als Subvention zählen oder nicht. Entscheidend sind die Effekte, die wir damit erzeugt haben.

Die Frage ist letztendlich: Wie robust ist die Branche? In den wirtschaftlich guten Jahren fuhren die Schiffsgesellschaften hohe operative Gewinne ein und die Anleger hatten nur niedrige Steuern zu zahlen. Die spezielle deutsche Ausgestaltung hat Schiffsfonds als Steuersparmodell sehr attraktiv für Anleger gemacht. Fondshäuser haben zusammen mit Banken Schiffsfonds aufgelegt. Damit konnten Reedereien viel Geld einsammeln. Beim gewöhnlichen Anleger hat die Tonnagesteuer also den Anschein erwecken lassen, dass sie mit der Schifffahrt, also bei Reedereien bzw. Fondsgesellschaften, langfristig viel Geld verdienen können. Das Steuersparmodell stand mehr im Vordergrund als die eigentliche Absicht der Tonnagesteuer, ein Fördermodell der Seeschifffahrtsbranche darzustellen. Die erhofften Effekte stellten sich am Ende nur kurzfristig ein und die Party war schnell vorbei: Banken steigen aus der Schiffsfinanzierung aus, Fondshäuser finden keinen Absatz mehr für ihre Produkte und bei Reedern und Anlegern häufen sich die Verluste, manche Schiffsgesellschaften melden Insolvenz an. Wir haben also politisch einen Trend weiter befeuert und den Hang zum Steuersparen gefördert, statt auf betriebswirtschaftliche Vernunft zu setzen. So haben wir letztlich auch massive Überkapazitäten an Schiffsraum geschaffen.

So etwas kennen wir doch aus auch anderen Branchen. Dch erinnere da nur an die Bauherrenmodelle, mit dem ein absolut ungesunder Steuerspar und Bauboom in den neuen Bundesländern ausgelöst wurde. Dieser Steuersparunfug ist ja jetzt immerhin beseitigt, nachdem er viele Opfer gefunden hatte.

Diese Fehler müssen wir jetzt in der Schifffahrtsbranche auch korrigieren und die Branche muss dieses mal eine deutlich bessere Rolle spielen.

Ich sage es ungern, aber es ist dennoch notwendig: Es gab in den vergangenen Jahren auch Gier und Maßlosigkeit in der Branche. Nicht alle haben mitgemacht, aber viele waren ganz berauscht von dem Wachstum und den enormen Gewinnen. Viele glaubten an ewiges Wachstum und vergaßen die wirtschaftliche Vernunft.

Natürlich kann ich verstehen, dass die maritime Branche weiter Geld vom Bund will. Das will ja jeder. Heute Nachmittag gab es dazu einen Gipfel im Wirtschaftsministerium und davor einen sogenannten „Brandbrief“ der Branche an die Bundesregierung. Vor dem Hintergrund, den ich Ihnen gerade geschildert habe, bin ich darüber sehr erstaunt. Hier erwarte ich deutlich mehr Einsicht bei der maritimen Branche. Die Politik kann und soll helfen, aber wir müssen auch sehen, was wir mit unserer Politik in der Vergangenheit erreicht haben und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Einfach nur weiter Geld fließen lassen, können wir uns schlicht nicht leisten.

Ich sehe zwei Lösungsansätze:

  1. brauchen wir eine Angleichung der europäischen Tonnagesteuerbedingungen, um den Subventionswettlauf zu beenden und
  2. müssen wir die Besteuerungsprinzipien ändern und das Steuersparmodell beenden.

Die Fachbegriffe sind hier Transparenz- bzw. Trennungsprinzip. Bei der Ausgestaltung der Tonnagesteuer muss die verzerrende Wirkung des jetzigen Transparenzprinzips neu gestaltet werden. Das heißt konkret: Der Anteilseigner muss seine Gewinne normal besteuern, statt von der Flat-Tax zu profitieren. Die Tonnagebesteuerung sollte ausschließlich für die Schiffsgesellschaften gelten. Das Ganze müssen wir europaweit harmonisieren.

Zur Umsetzung kann der aktuelle Prozess der EU-Kommission zur Bewertung der Seeschifffahrtsbeihilfen genutzt werden. Wir brauchen einen einheitlichen europäischen Ansatz an die Besteuerung von Schiffen, um den schädlichen Steuerwettbewerb zu verhindern.

Neben der europäischen Dimension müssen wir das maritime Bündnis auf neue Beine stellen. Zukünftig müssen die Vereinbarungen verbindlich sein und es muss vorab klare Regelungen geben, was passiert, wenn die Übereinkünfte nicht eingehalten werden.

Steuersystematisch richtig wäre es, Schiffe identischen Regelungen zu unterwerfen, so wie andere Sektoren. Dies kann jedoch nur international abgestimmt funktionieren, da andernfalls der Steuerwettbewerb in absehbarer Zeit zu einer deutlichen Verlagerung führen würde. Die Maßnahme würde ihren Effekt verfehlen. Eine europäische Harmonisierung der Schiffsertragsbesteuerung würde den Steuerwettbewerb mildern, nicht aber gänzlich verhindern, da auch eine Verlegung außerhalb der EU ohne größeren Aufwand möglich bliebe. Zudem ist Vorsicht geboten, wenn in der guten Zeit an der Tonnage, in der nun schlechteren Marktphase aber an reale Gewinne und Verluste angeknüpft wird. Ich halten es aus diesen zwei Gründen für richtig, wenn der europäische Ansatz zunächst in einem Tonnagesteuermodell besteht.

Allerdings muss dieses Modell insgesamt zu einer Belastung von Erträgen bei Schiffen führen, die mit der von anderen Investitionen vergleichbar ist. Alles andere würde ja wiederum zu einer neuen Schaffung von Überkapazitäten und schwimmenden Investitionsruinen führen. Das kann auch nicht im Interesse der Branche sein. Es muss also ein entsprechend hoher einheitlicher europäischer Tonnagesteuer-Multiplikationssatz zur steuerlichen Gewinnermittlung geschaffen werden. Für Deutschland würde das eine Erhöhung des Multiplikationssatzes bedeuten und damit auch einen Beitrag zur Subventionsreduzierung leisten. So werden die Steuerausfälle im Vergleich zu einer regulären Gewinnbesteuerung abgebaut werden.

Bei der europäischen Harmonisierung ist außerdem auf die Ausgestaltung der Regelung bezüglich der Bereederung im Inland zu achten. Derzeit wird auf der einen Seite die Tonnagesteuer für deutsche Anleger bei Schiffsmanagement in Deutschland gewährt – das Schiff kann aber gleichzeitig auch per sogenannter Bareboat-Vercharterung und Ausnahmegenehmigung nach § 7 Flaggenrechtsgesetz (FlRG) unter einer billigeren Flagge fahren und somit doppelt Vorteile genießen. Auch das müssen wir also ändern.

Sinnvoll erscheint es, die Tonnagesteuer an das Führen einer europäischen Flagge zu binden. Die Bedingungen zur Bereederung innerhalb der EU müssen angepasst und ein europäisches Flaggenregister eingeführt werden. Ziel muss es sein, dass die Reeder eines EU-Staates nur dann in den Genuss der Tonnagesteuer kommen, wenn sie auch mindestens 60 Prozent der internationalen Handelsschiffe in einem europäischen Register eingetragen haben. Erst wenn diese Mindestzahl erreicht ist, soll zukünftig auch die Tonnagebesteuerung gelten dürfen.

Die maritime Branche hat Probleme und insbesondere das Problem der Schiffsfinanzierung muss gelöst werden. Hier wurden in der Vergangenheit massive Fehler gemacht, aus denen wir nun lernen müssen. Steuersparmodelle standen im Vordergrund anstatt verantwortliches Handeln für Arbeitsplätze in Deutschland, also auf deutschen Seeschiffen. Ich setze dabei auf die Vernunft der Branche und fordere die Bundesregierung und die Branche eindringlich auf, hier konstruktiv und zügig an einer Lösung zu arbeiten.

Lassen sie mich deswegen meine Vorschläge noch einmal zusammen fassen.

Wir brauchen:

  1. Eine europaweite Harmonisierung der heterogenen Tonnagesteuer, um die bestehende Wettbewerbsverzerrung aufzuheben.
  2. Für Deutschland hieße das eine leichte Erhöhung des Multiplikationssatzes zur steuerlichen Gewinnermittlung (dieser ist in D derzeit relativ niedrig, im Vgl. mit anderen EU-Mitgliedsstaaten).
  3. Eine Änderung vom Transparenz- zum Trennungsprinzip bei der Anwendung der Tonnagesteuer.
  4. Das Maritime Bündnis müssen wir auf neue Beine stellen und die Vertragsparteien Bund, Küstenländer, Reeder und Gewerkschaften verbindlich an ihre Vereinbarungen binden.

In diesem Rahmen müssen wir alle aktiv werden. Ich setze da auf Ihre Unterstützung.

Herzlichen Dank.

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