Mobilität 2050 als Treiber für eine neue Bahnpolitik

Beitrag zu den 29. Horber Schienentagen Die Haushaltsberatungen haben gezeigt, dass mit begrenzten Geldmitteln nicht ehrlich umgegangen wird. Noch immer werden Haushaltsmittel für immer neue Infrastrukturprojekte gefordert - nicht etwa durch Umschichtungen, sondern durch Neuverschuldung zu Lasten unserer nachfolgenden Generationen. So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen eine Vision „Mobil 2050.“

14.12.11 –

Beitrag zu den 29. Horber Schienentagen

Das Dilemma der heutigen Verkehrspolitik

Die Haushaltsberatungen für 2012 im Bundestag haben wieder einmal gezeigt, dass in weiten Bereichen der Bundespolitik ein ehrlicher Umgang mit den begrenzt zur Verfügung stehenden Geldmitteln noch nicht angekommen ist. Es werden immer noch Haushaltsmittel für weitere neue Infrastrukturprojekte gefordert und dann von der aktuellen schwarz-gelben Regierungskoalition einfach mal schnell eine zusätzliche Milliarde Euro an Infrastrukturmitteln generiert. Diese Milliarde wird nicht etwa durch Umschichtungen geschaffen sondern die Neuverschuldung zu Lasten unserer nachfolgenden Generation wird um denselben Betrag erhöht. So kann es nicht weitergehen!

Jedes Jahr gibt allein der Bund mit 35 Milliarden mehr für Zinsen aus als für Gesundheit, Bildung, Forschung und Familien zusammen. In diesem Jahr wird der Bund wieder etwa 20 Milliarden Euro zu viel ausgeben und mit dem Haushalt 2012 die Nettoneuverschuldung gegenüber 2011 nochmal um etwa 5 Milliarden Euro erhöht. Obwohl die Finanzkrise immer schärfer wird, muss das Thema Schuldentilgung endlich auch in der Bundespolitik ankommen. Wann sollen denn die angehäuften Staatsschulden von insgesamt etwa 2 Billionen Euro einmal abgetragen werden? Was geschieht, wenn es die Politik auf den eingefahrenen Gleisen nicht einmal in Zeiten mit steigender Wirtschaftsleistung und mehr Steuereinnahmen schafft, mit einem kleinen Tilgungsbeitrag zu starten? Immer wieder kommen Interessengruppen und wollen ihre Wünsche durchsetzen. Sie finden dazu willige Politiker_innen. Die gewählten Abgeordneten des Bundestags sind aber, wie es die Schöpfer_innen des Grundgesetzes in Artikel 38 sehr deutlich festgehalten haben, Vertreter des ganzen Volkes und nicht nur der ihnen nahestehenden Interessengruppen oder ihres Wahlkreises.

Es hilft also nicht, immer wieder Forderungen nach neuen Verkehrswegen zu erheben, seien es Schienenwege, Straßen oder Wasserstraßen. Der derzeitige Bundesverkehrswegeplan ist nur eine Wunschliste verschiedenster regionaler Projekte, die nie und nimmer realisiert werden können. Die Praxis zeigt, dass allein bei den Verkehrsprojekten im vordringlichen Bedarf eine drastische Unterfinanzierung besteht. Den verfügbaren Haushaltsmitteln für Investitionen in Höhe von etwa 4,8 Mrd. Euro jährlich stehen bis 2015 noch gewünschte Projekte allein im vordringlichen Bedarf in Höhe von mehr als 45 Mrd. Euro gegenüber - eine zehnfache Überzeichnung. Alle diese Projekte werden sich nie realisieren lassen.

Aus diesem Dilemma gibt es nur einen realistischen Ausweg: die Politik muss sich endlich von den vielen lokalen Wünschen und  unrealistischen Verkehrsprognosen verabschieden. Denn gerade die aus der Wirtschaft immer wieder geäußerte Forderungen, es brauche neue Verkehrswege, um die Wirtschaftsleistung zu erbringen, und jeder Verkehrsweg bringe neue Wirtschaftskraft in die Region, haben sich als unrealistisch herausgestellt. Professor Gather von der Fachhochschule Erfurt konnte in einer Untersuchung am Beispiel des Bundeslandes Thüringen eindrucksvoll zeigen, dass diese immer wieder geäußerten Behauptungen nicht zutreffen. Vielmehr kommt es zu Kannibalisierungseffekten zu Lasten anderer Regionen. Neue Wertschöpfung wird dabei nicht generiert[1].

 

Wie kann ein neuer Ansatz gelingen?

Der Wunsch nach Mobilität für Personen und Güter ist ein soziales Grundbedürfnis, das die Gesellschaft befriedigen muss. Gleichzeitig hat die Gesellschaft aber auch dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die Wirtschaftsleistung erbracht werden kann als auch die Umwelt erhalten bleibt. Nur durch diesen Dreiklang aus wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zielen kann ein nachhaltiges politisches Handeln sichergestellt werden, das sowohl die Bedürfnisse der jetzigen Generation als auch der zukünftigen berücksichtigt.

Die Wissenschaftler sagen uns ganz deutlich, dass unsere Gesellschaft bis 2050 weitgehend, also möglichst zu 95 Prozent, dekarbonisiert sein muss[2]. Wir dürfen dann durch unser Handeln praktisch keine neuen CO2-Emissionen mehr in die Umwelt abgeben: Sonst kann das Klimaziel einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf etwa 2°C nicht eingehalten werden. Die Energiewirtschaft muss sich mit dem Atomausstieg darauf einstellen und auf erneuerbare Energien umsteigen. Durch konsequente Wärmedämmung sind wir auch bei der Wärmeerzeugung  auf dem Weg zu diesem Ziel . Im Bereich des Verkehrs stellen sich dagegen keinerlei Erfolge ein. Der grundsätzlich richtige Ansatz der EU-Kommission in ihrem Weißbuch Verkehr[3], die CO2-Emission des Verkehrs bis 2030 um 20 Prozent gegenüber 2008 und bis 2050 um 60 Prozent gegenüber 1990 abzusenken, bildet sich bislang im politischen Handeln nicht ab. In den 27 EU-Mitgliedsstaaten hat sich die CO2-Emission durch den Verkehr vielmehr in den letzten Jahren immer weiter erhöht und lag 2009 immer noch um 29 Prozent über dem Ausgangswert von 1990[4].

Im Verkehr wird immer noch verdrängt, dass bisher als „Schmiermittel der Wirtschaft“ genutzte Rohstoffe endlich sind. Öl und Gas sind jedoch nicht beliebig vermehrbar. Die Erdölförderung hat jetzt schon den Peak der höchsten Fördermenge überschritten. Neue Quellen lassen sich nur unter Inkaufnahme erheblicher Umweltschäden erschließen. Mit der Nutzung unkonventioneller Ölquellen in Form von Ölsanden oder Ölschiefer, Tiefseebohrungen oder der Förderung in arktischen Gewässern gehen wir kaum zu handhabende Risiken ein. Es ist dringend angezeigt, den Weg zu einer postfossilen Mobilität zu finden.

 

Vision Mobil 2050 für nachhaltige Mobilität

Eine Vision „Mobil 2050“ muss für nachhaltige Mobilität für alle im Einklang mit den Erfordernissen von Ökologie, Ökonomie und sozialem Zusammenhalt stehen. Das geht nur mit verkehrsträgerübergreifendem Denken und Handeln und nicht mehr mit einem „Weiter so“. Lediglich neue Verkehrssysteme anzubieten oder die bisherigen Antriebstechnologien durch neue zu ersetzen, wie z.B. jetzt beim Hype auf die Elektromobilität, führt nicht zum Erfolg. Dazu gehört auch, sich vom bisherigen Anspruchsdenken und den Bedarfsforderungen zu lösen und neue ganzheitliche Ansätze zu finden. Entscheidend ist es, selbst mobil zu bleiben und die notwendigen Transporte von Gütern zu realisieren, aber nicht, dies unbedingt mit einem bisher liebgewonnen Verkehrsmittel durchzuführen. Die Jugend macht uns das vor: die Fixierung auf das eigene Automobil steht bei jungen Menschen immer weniger im Vordergrund. Sie wollen mobil sein, mit dem Auto oder anderen Verkehrsmitteln. Sie brauchen das Auto aber nicht mehr als Statussymbol.

 

Wo hat der Schienenverkehr seinen Platz in der Vision Mobil 2050?

Die Mobilität muss, um die Ziele Klima- und Ressourcenschutz zu erreichen, konsequent multimodale Ansätze nutzen. Wir werden auf unseren zukünftigen Wegen nicht mehr nur einen Verkehrsträger nutzen, sondern mehrere. Entscheidend ist, mobil zu bleiben und das Reiseziel in einem nachhaltigen Mobilitätssystem zu erreichen. Das könnte im Nahbereich ein Elektroauto sein, das wir bis zum Bahnhof benutzen, für die Fernstrecke die elektrifizierte Bahn und für die Erreichung des Zielortes der ÖPNV oder ein Elektro-Car-Sharing-Auto. Bezahlt wird alles an einer Stelle, denn die künftigen Mobilitätsunternehmen verkaufen ihre Dienstleistungen nicht mehr getrennt nach Sparten sondern sind in Portalen zusammengefasst.

Basis so eines Mobilitätssystems ist die konsequente Nutzung erneuerbar erzeugten Stroms als Basis-Energieträger. Bei Verwendung des intermodalen Ansatzes zur Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse ist auch die Speicherproblematik der Elektrofahrzeuge nicht mehr relevant. Diese werden nur für die Strecken benutzt, für die auch die Speichersysteme zur Verfügung stehen.

 

Ist die Vision Mobil 2050 auch eine Lösung für den Güterverkehr?

Auch die derzeit noch hauptsächlich auf dem LKW basierenden Logistikkonzepte für den Fernverkehr können auf multimodale Konzepte umgestellt werden. Elektrifizierte LKWs holen im Nahbereich den Container oder Trailer vom Verlader ab und bringen ihn zu einem Railport. Dort wird er gegebenenfalls zwischengelagert und dann auf einen nach Fahrplan fahrenden Ganzzug im voll elektrifizierten Schienennetz zu einem Railport in der Nähe des Ziels gefahren, ganz ohne zeitaufwändige Rangiervorgänge und nach einem festen Fahrplan, auch wenn der Zug nicht ganz ausgebucht ist. Von dort aus erreicht der Container oder Trailer nach Umladen auf den elektrifizierten LKW den Empfänger.

Das elektrifizierte Schienenverkehrssystem mit dem kombinierten Verkehr ist dabei das künftige Rückgrat des Fernverkehrs für die Mobilität von Gütern und Personen über Strecken von mehr als 100 km. Die Schiene wird in der Vision „Mobil 2050“ praktisch die „Autobahn der Zukunft“!

Diesen nachhaltigen Weg müssen wir gehen, wenn wir die Anforderungen des Klimaschutzes erfüllen wollen und uns der Endlichkeit der Ressourcen auf dieser Erde stellen. Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt. Diesen Leitsatz darf verantwortliches politisches Handeln nicht aus den Augen verlieren.

Kritiker werden jetzt sicherlich sagen: Was interessiert mich eine Vision für das Jahr 2050? Schließlich müssen die Transportprobleme bei verstopften Autobahnen und dem zu langsamen und unzuverlässigen Gütertransport mit der Bahn heute gelöst werden. Und wie sollen wir dem ganzen zusätzlich prognostizierte Güterverkehrsaufkommen Herr werden? Bis 2025[5] soll ja angeblich nach den Prognosen des Bundesverkehrsministeriums der Güterverkehr um knapp 80 Prozent ansteigen. Aber genau hierin steckt die Gefahr des bisherigen Planungsansatzes. Denn alle Infrastruktur, die neu geschaffen werden muss, benötigt eine erhebliche Planungs- und Bauzeit. 10 Jahre sind da schnell zusammen, auch wenn alles im Einvernehmen mit den Beteiligten abläuft. Diese neue Infrastruktur muss nicht nur für einen kurzen Zeitraum sondern für viele Jahrzehnte tragen. Damit werden neue Flächen versiegelt und aus dem ökologischen System herausgenommen. Was aber machen wir, wenn sich die nur für einen kurzen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren angelegten Prognosen nicht erfüllen? Damit ist durchaus zu rechnen, wie die bisherige Praxis zeigt. Denn von einem Ölpreis für 2030 in der Prognose des BMVBS von 60 $ pro Barrel[6] auszugehen, ist schon im Jahr 2011 überholt. Dann hat die Gesellschaft, die die Infrastruktur bauen lässt und bisher über ihre Steuern und Abgaben bezahlt, „Denkmäler“ in die Landschaft gesetzt, die nicht mehr benötigt werden. Andere, für die Zukunft wichtige Projekte, können dafür aber nicht rechtzeitig begonnen werden.

Dieser bisherige Denkansatz ist zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Wir müssen  ein wirklich nachhaltiges Mobilitätssystem schaffen, das sowohl den jetzigen Anforderungen als auch denen unserer Kinder und Kindeskinder gerecht werden kann. Dieses Problem können wir über die Vision „Mobilität 2050“ lösen, indem sich die Gesellschaft darauf einigt, welche Mobilitätsziele langfristig erreicht werden sollen. Daraus kann das notwendige Infrastrukturnetz abgeleitet und dann auch realisiert werden. Gleichzeitig können wir damit Lösungen schaffen, wie die zwischenzeitlichen Überlastphasen bis zum Erreichen des Ziels durch temporäre Lösungen aufgefangen werden können. Hier wären z.B. die Nutzung der Telematik im Straßenverkehr wie die Mitbenutzung der Standspuren auf den Autobahnen denkbar oder auch eine zeitweise verstärkte Nutzung der Binnenschifffahrt. Nur so schaffen wir sowohl für die Gesellschaft, die die Infrastruktur als Baustein der Daseinsvorsorge finanzieren muss, als auch für die Wirtschaft stabile Investitionsbedingungen und erhalten weitgehend die Umwelt für unsere nachfolgenden Generationen.

Entscheidend dabei ist, dass sich die Politik von der bisherigen Infrastrukturplanung als Wünsch-Dir-was-Liste der lokalen Politik löst. Ein neuer Bundesverkehrswegeplan 2.0 oder ein Bundesmobilitätsplan muss die Bedürfnisse der Mobilitätsnutzer_innen, der Ökologie und der Wirtschaft miteinander verzahnen, konsequent intermodal in Netzen und Korridoren denken. Es darf nicht mehr wie bisher jeder Verkehrsträger für sich betrachtet werden, sondern die sinnvolle Zusammennutzung muss im Vordergrund stehen. Da darf nicht mehr an lokalen Grenzen halt gemacht werden. Die Bundespolitik hat die Aufgabe, Mobilität für die Bundesrepublik Deutschland in Europa zu konzipieren und auch für die Finanzierung zu sorgen.

 

Wo bleibt die DB AG in der Vision Mobil 2050?

Das Bahnsystem wird das Rückgrat des Ferntransports im Jahr 2050 bilden müssen. Mit einer vollständig elektrifizierten Bahn ist klimaneutraler Verkehr mit konsequentem Verzicht auf CO2-Emissionen möglich, wenn der Bahnstrom vollständig aus erneuerbaren Energien erzeugt wird. Dies ist nach den bisherigen Planungen der DB AG bis 2050 leistbar..

Entscheidend wird aber sein, dass das Bahnsystem deutlich mehr Güterverkehr als kombinierten Verkehr auf der Fernstrecke aufnehmen muss. Bisher werden nur etwa 16 Prozent des Güterverkehrs über die Schiene abgewickelt und mehr als 70 Prozent über den LKW. Dabei steht heute nur noch eine begrenzte Anzahl an freien Trassen auf dem deutschen Schienennetz für zusätzliche Züge zur Verfügung. Der Schienenverkehr kann im derzeitigen Zustand die notwendigen Mehrleistungen, die sich in der Vision „Mobil 2050“ ergeben, nicht erbringen. Jetzt rächt sich das bisher in Deutschland durch die DB AG und deren Vorgänger in der Behördenbahn vertretene Konzept eines integrierten Netzes für Personen- und Güterverkehr. Der schnelle Personenverkehr reduziert dramatisch die Aufnahmefähigkeit einer Schienenstrecke, der langsame Güterverkehr muss warten.

 

Wird die DB AG noch als integrierter Konzern wie jetzt Bestand haben können?

Ein zukünftiges Schienennetz muss im Hinblick auf den zusätzlich aufzunehmenden Güterverkehr konsequent erweitert werden. Da geht es zunächst um Entlastungen von stark frequentierten Knoten. Mit einem Aufwand von insgesamt ca. 11 Mrd. Euro (5 Mrd. Euro für Projekte mit höchster Dringlichkeit) könnte nach einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes die vorhandene Infrastruktur auf 725 Kilometern um ein zweites, drittes und/oder viertes Gleis ergänzt und auf 817 Kilometern elektrifiziert werden[7]. In Teilbereichen muss es dann auch zur Schaffung eines parallelen Güterbahnnetzes kommen. Nur so kann der Schienenverkehr den Anspruch erfüllen, die künftige Autobahn für den Fernverkehr zu sein. Dazu sind gewaltige Investitionen im Netzausbau erforderlich, die vor allem auch mit Investitionen in andere Verkehrsträger abgestimmt sein müssen. Deutschland und Europa werden es sich auf Dauer nicht leisten können, auf die Nutzung der Intermodalität zu verzichten und mehrere Netze für verschiedene Verkehrsträger gleichzeitig zu schaffen und vor allem dauerhaft zu unterhalten. Darum muss der Netzbetrieb und die notwendige Planung von der Gesellschaft, also vom Staat, realisiert werden. Für einen wie bisher integrierten Bahnkonzern aus Netzbetrieb und Transport ist dann kein Platz mehr.

Die DB AG wird zukünftig die Transportleistung auf der Schiene anbieten. Dabei wird sie neben dem Personenverkehr vorrangig als einer der Carrier im intermodalen Verkehr für den Ferntransport von Containern oder Aufliegern im Liniendienst zwischen definierten Endpunkten, den Railports, zur Verfügung stehen müssen. Einzelwagenverkehre, mit dem die Bahn das Logistikkonzept des bisherigen LKW-Transportes nachstellt, werden durch den hohen Rangieraufwand nur noch in besonderen Anwendungsbereichen, wie bei Chemikalientransport oder dem Transport von Massengütern oder Stahlprodukten ihre Berechtigung haben.

 

Wie können die geschaffenen Infrastrukturwerte erhalten werden?

Die bisherigen Lösungen mit Bundesverkehrswegeplan, der Investitionsrahmenplanung, einzelnen Finanzierungsvereinbarungen und Ansätzen im Bundeshaushaltsplan als finanzieller Basis für die Erhaltung des Bestandes erweisen sich immer mehr als ungeeignet, um die geschaffenen Werte zu erhalten und sinnvoll auszubauen. Gerade der kameralistische Ansatz der Haushaltsplanung des Bundes führt dazu, dass die Politik langfristige Ziele aus den Augen verliert und vor allem bei Finanzplanungen nicht nachhaltig denkt. Hier stehen kurzfristige politische Erfolge im Vordergrund.

Die Vision „Mobilität 2050“ geht von einem nachhaltigen Ansatz der Mobilitätsplanung und Mobilitätserhaltung aus. Es müssen alle Verkehrsträger gemeinsam betrachtet werden. Vor allem der Werterhalt, also die langfristige Sicherung, muss im Vordergrund stehen. Hierfür ist das klassische kameralistische Haushaltsrecht nicht mehr sinnvoll. Erfahrungen aus den Kommunen zeigen das deutlich. Die Umstellung auf eine betriebswirtschaftlich orientierte doppische Haushaltsführung, bei der auch der Wert der Anlagen berücksichtigt wird, zeigt klar auf, was zum Werterhalt mindestens wieder investiert werden muss. In diesem System wird schnell deutlich, ob sich die Politik ihrer Aufgabe auf Erhalt und Weiterentwicklung des Volksvermögens stellen kann. Oder werden die politischen Debatten nur dazu geführt, um die Haushaltsansätze mit dem wenigsten Widerstand von Interessengruppen zu kürzen?

Sinnvoll wäre daher, die Netzentwicklung und -erhaltung auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten, damit die Werterhaltung des Vermögens der gesamten Gesellschaft in die politische Entscheidung einbezogen wird. Als erster Schritt dazu bietet sich die Herauslösung der DB Netz AG aus der Holding DB AG und deren Überführung in eine Eisenbahninfrastrukturgesellschaft an, die sich am Erhalt der Schienenwege ausrichtet und nicht gewinnorientiert arbeitet. Die Politik steuert dann, indem sie die Unternehmensziele dieser Gesellschaft langfristig festlegt. Hierfür muss ein möglichst breiter gesellschaftlicher Konsens gefunden werden. Nur so kommt eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung zustande, die sich an den langfristige Erfordernissen der Gesellschaft orientiert und nicht mehr an kurzfristigen Wahlperioden. In weiteren Schritten muss dieses Prinzip dann auch auf Bundesautobahnen, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen angewendet werden.

 

Kann denn das alles wirklich finanziert werden?

Die Finanzierung ist möglich, wenn wir uns diesem Umdenkungsprozess mit der Vision „Mobil 2050“ auch stellen. Die Politik muss dann die notwendigen Instrumente zur Verfügung stellen. Das könnte grundsätzlich über ordnungspolitische Maßnahmen gehen, wobei Verbote immer wieder das Problem beinhalten, dass sie nur wirksam werden, wenn auch für einen konsequenten Vollzug gesorgt wird. Gerade der fehlt heute immer mehr. Chancenreicher ist deswegen der wirtschaftliche Ansatz, der von der Europäischen Union im Weißbuch Verkehr in den Vordergrund gestellt wird und den wir im Bahnbereich in Deutschland schon fast realisiert haben. Das geht über die Internalisierung der externen Kosten, die beim jeweiligen Verkehrsträger anfallen.

Im Bereich des Schienenverkehrs erfolgt das schon weitgehend, indem die Eisenbahnverkehrsunternehmen für die Nutzung der Schienenstrecken einen Trassenpreis zahlen müssen, aus dem der Betrieb und anteilig auch die Instandhaltung finanziert wird [8]. Bei der Straße kennen wir das Prinzip nur sehr rudimentär über die LKW-Maut und bei der Wasserstraße noch weniger, da nur bei Nutzung der Kanäle geringe Befahrungsabgaben erhoben werden. Um eine sinnvolle Lenkungswirkung hin zu dem intermodalen Mobilitätssystem der Zukunft zu schaffen, sind Nachsteuerungen erforderlich. Die Einnahmen müssen dann auch dem Verkehrsnetz erhalten bleiben. Über Ökosteuern und Ressourcenbesteuerung lassen sich zusätzliche Steuerungswirkungen erzielen, auch wenn diese Einnahmen nicht zielgerichtet dem Unterhalt der Netze zufließen.

 

Helfen Öffentlich-private Partnerschaften aus dem Dilemma?

Sogenannte öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP bzw. PPP) helfen bei der Finanzierung eines nachhaltigen Mobilitätssystems nicht weiter. Die bisherigen ÖPP-Projekte zeigen, dass es im Endeffekt nur darum geht, mit privaten Kapital die Nachteile des kameralistischen Haushaltssystems zu überspielen. Dies wird teuer erkauft. Denn neben der erheblichen Anschubfinanzierung aus öffentlichen Kassen müssen  sowohl die höheren Zinslasten, die bei einem Privatunternehmen für die Finanzierung anfallen, als auch der Gewinn des Privatunternehmens von der öffentlichen Hand mitfinanziert werden. Die Schweiz zeigt mit der öffentlichen Fondslösung, wie eine langfristige öffentliche Finanzierung von Verkehrsbauten umgesetzt werden kann.

 

Blockiert die heutige Dagegen-Gesellschaft nicht die Umsetzung?

Wie Klaus Töpfer auf dem Kongress Rio+20 in Hannover[9] deutlich hervorhob, sind bislang alle gesellschaftlichen Weiterentwicklungen aus einer Dagegen-Bewegung entstanden: So ist die jetzt breit getragenen Energiewende aus der Anti-Atom-Bewegung entstanden. Auch das Umweltministerium selbst ist auf Druck einer Bewegung entstanden, die den Raubbau an unseren natürlichen Ressourcen angeprangert hat.

Wir dürfen  bisherige Lösungsansätze nicht mehr mit dem Kopf durch die Wand weiter verfolgen. Vielmehr müssen alle, die mit der Planung des Zielnetzes zu tun haben, auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen und deren Kompetenz mit nutzen. Es hilft uns nicht weiter, sich formal hinter einem bisherigen Planungsrecht zu verstecken, welches auf obrigkeitsstaatliches Denken setzt und dem Bürger nur eine schwache Anhörungsmöglichkeit, aber keine echte Beteiligungsmöglichkeit, gibt. Das Schweizer Modell mit einem Vernehmlassungsverfahren, bei dem alle Aspekte des Vorhabens transparent aufbereitet und betrachtet werden, welche den Bürgern vor einem Volksentscheid vollständig zur Verfügung gestellt werden, ist ein durchaus beachtenswerter Ansatz für ein beteiligungsorientiertes Planungskonzept.

 

Bleibt der Lärmschutz auf der Strecke?

Die Vision „Mobil 2050“ zeigt auch, dass durch den intermodalen Ansatz der Autobahn- und Fernstraßenbau für 2050 nicht mehr die Bedeutung haben wird, sondern der Fernverkehr weitgehend von der elektrifizierten Bahn aufgenommen werden muss. Dies bedeutet auch, dass bis 2050 gewaltige Investitionen in neue und erweiterte Bahnstrecken erforderlich werden. Gerade mit dem Güterverkehr kommt dabei auch das Lärmproblem hautnah an die Bürger_innen heran. Akzeptanz für solche Streckenerweiterungen kommt nur dann zustande, wenn konsequent für guten Lärmschutz gesorgt wird. Das bedeutet auch, zügig auf den Schienenbonus zu verzichten, der bisher u.a. mit der nur geringen Zugfolge auf den Bahnstrecken begründet wurde. Diese Situation trifft heute auf den Hauptstrecken nicht mehr zu. Im Mittelrheintal, der Verbindungsstrecke zwischen den Häfen Rotterdam und Genua, fahren Tag und Nacht auf beiden Uferseiten Züge im 5 Minuten-Abstand durch das enge Tal. Die Lärmsituation ist heute für die Bürger_innen vor Ort nicht mehr erträglich. Die Abschaffung des Schienenbonus hat jedoch nur Bedeutung für neue Strecken

Aber auch für Bestandsstrecken brauchen wir Lösungen. Derzeit kann der Verkehr ansteigen - ohne dass in neuen Lärmschutz investiert werden muss. Das gilt auch Bahnstrecken, wobei dort aber ein freiwilliges Nachrüstprogramm der DB AG mit Unterstützung des Bundes stattfindet. Von dieser Besitzstandserhaltung muss die Politik dringend Abstand nehmen: Alle müssen zu einer kontinuierlichen Anpassung des Lärmschutzes an den Stand der Wissenschaft und Technik verpflichtet werden und die Politik  muss dafür die gesetzlichen Grundlagen schaffen. Finanzierbar ist das, wenn konsequent die Internalisierung der externen Kosten umgesetzt wird. Je lauter das Verkehrsmittel desto höher muss auch der Beitrag zur Streckennutzung sein.

Lärmschutz am grünen Tisch zu planen und die Bürgerinnen und Bürger nicht aktiv in die Planung einzubeziehen, führt nur zu Widerstand. Das zeigt sich gerade an der europäischen Bahnstrecke entlang des Oberrheins. Hier müssen gemeinsam erarbeitete Lösungen her, auch wenn sie die Gesellschaft mehr Geld bei der Errichtung kosten. Das wird durch wegfallende Kosten für Gesundheitsprobleme und Entvölkerung betroffener Landstriche langfristig in der volkswirtschaftlichen Bilanz wieder ausgeglichen.

Wenn gemeinsam Lösungen gefunden sind, in einem Beteiligungs- oder Mediationsverfahren, dann müssen sich auch alle Beteiligten dran halten. Gerade das Beispiel der 3. Start- und Landebahn am Flughafen Frankfurt zeigt, dass sonst die Verantwortlichen sehr schnell und dauerhaft die Glaubwürdigkeit verlieren. Die Interessen von Wirtschaft und Bürger_innen müssen ausgeglichen und ihre Interessen gleichberechtigt behandelt werden.

 

Schlussfolgerungen

Angesichts des Klimawandels, der Ressourcenverknappung und der Überschuldung der öffentlichen Haushalte ist ein Umdenken in der Verkehrsplanung dringend nötig. Wir brauchen eine ganzheitliche und nachhaltige Mobilitätsplanung. Die Vision „Mobil 2050“ nimmt dies auf und definiert ein langfristig zu erreichendes Ziel. Daraus muss die Politik dann notwendigen Zwischenstationen ableiten. Wir brauchen in der Gesellschaft ein grundsätzliches Umdenken.

Entscheidend ist, endlich Ehrlichkeit in der Bewertung der Verkehrskonzepte einziehen zu lassen. Für die Finanzierung aller Wünsche ist kein finanzieller Spielraum vorhanden. Wegen der langen Laufzeit der Infrastrukturmaßnahmen müssen Fehlinvestitionen, mit denen das gesellschaftliche Ziel der Vision „Mobil 2050“ nicht erreicht werden kann, vermieden werden. Wir haben nicht mehr viel Zeit: Darum sollte jetzt der gesellschaftliche und politische Diskurs begonnen werden, damit nach Auslaufen des Bundesverkehrswegeplans 2015 eine durchgängige Mobilitätskonzeption vorliegt. Nur so kann Sicherheit für die Investitionsplanung aller Wirtschaftsteilnehmer geschaffen werden.

Zum Ehrlichmachen gehört auch, für eine Kostenklarheit und -wahrheit bei allen Marktteilnehmern zu sorgen. Das Weißbuch Verkehr der EU-Kommission zeigt mit der Internalisierung der externen Kosten und der konsequenten Nutzung der Intermodalität den richtigen Weg auf. Dieses Konzept wird auch vom Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung des Deutschen Bundestags in seinem Konzept für eine nachhaltige Mobilität[10] in den Vordergrund gestellt. Es kann nicht mehr Aufgabe der Gesellschaft sein, Logistik- oder Verkehrskonzepte zu unterstützen, bei denen wie bisher die Kosten der Marktteilnehmer auf die Allgemeinheit verlagert werden.. Derzeit werden künstlich Wettbewerbsverzerrungen geschaffen, die weder den Menschen in ihrer Umwelt heute, noch den nachfolgenden Generationen gerecht werden. Auch in der Mobilität – im Verkehr von Personen und im Transport von Gütern – muss die nachhaltige Denkweise ankommen. Höher – schneller – weiter war der Ansatz von gestern zu Lasten der Zukunft. Nachhaltige Mobilität ist das Konzept der Zukunft für eine dekarbonisierte und am Recycling orientierte Gesellschaft. Handeln wir heute für die Zukunft unserer nachfolgenden Generationen!

Berlin, 14. Dezember 2011

 

[1]

Gather, Matthias: Regionale Effekte der Fernstraßeninfrastruktur auf die wirtschaftliche Entwicklung in Thüringen. Erfurt; Januar 2003, S. 91-93

www.fh-erfurt.de/fhe/fileadmin/Material/Institut/Verkehr_Raum/Download/Projekte/2003/reg_eff_fern_stra_2003.pdf

 

[2] Gupta, S., D. A. Tirpak, N. Burger, J. Gupta, N. Höhne, A. I. Boncheva, G. M. Kanoan, C. Kolstad, J. A. Kruger, A.Michaelowa, S. Murase, J. Pershing, T. Saijo, A. Sari, 2007: Policies, Instruments and Co-operative Arrangements. In Climate Change 2007: Mitigation. Contribution of Working Group III to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, pg. 776. Based on stablisation at low emission levels (i.e. 450 ppm CO2-eq)

[3]

EU-Kommission: WEISSBUCH - Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einemwettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem. KOM(2011) 144 endgültig. Brüssel 28.03.2011. Ziel 3, S. 10

eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do

 

[4]

Auswertung der Allianz pro Schiene Quelle: Allianz pro Schiene auf Basis von Zahlen der Europäischen Umweltagentur (EEA). Verkehr inklusive internationalem See-und Flugverkehr. Juni 2011.

www.allianz-pro-schiene.de/umwelt/co2-emissionen/

 

[5]

ITP/BVU: Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen 2025, München/Freiburg 14.11.2007, Tabelle 0-4, S.12

daten.clearingstelle-verkehr.de/220/03/FE_96_857_2005_Verflechtungsprognose_2025_Gesamtbericht_20071114.pdf

 

[6] ebenda S.53-56

[7] Holzhey, Michael: Schienennetz 2025/2030. Umweltbundesamt, Dessau, 2010

[8] Für den Unterhalt stehen aus der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung des Bundes mit der DB AG (LuFV) jährlich 2,5 Milliarden des Bundes zur Verfügung (www.eba.bund.de,11.11.2011), hinzu kommen Neu- und Ausbaumittel in Höhe von 1,2 Mrd. Euro, aus Trassenerlösen erwirtschaftet die DB Netz jährlich 4,4 Mrd. Euro

[9] Am 08.12.2011 im Congress Centrum Hannover

[10]

Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung: Positionspapier, Perspektiven für eine nachhaltige Mobilität – Mobilität für die Zukunft sicherstellen, Berlin 13.04.2011, S. 11-13

www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/gremien/nachhaltigkeit/berichte/pos.pdf

 

 

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