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12.01.16 –
Deutsche Verkehrs Zeitung
Auf zum Streitgespräch: Valerie Wilms, streitbare Verkehrspolitikerin der Grünen – also der Partei, die noch 2013 den Feldversuch in ein vorzeitiges Aus klagen wollte. Und Ralf Jahncke, ausgewiesener Kenner des Kombinierten Verkehrs, der überzeugt ist: Der Lang-LKW nutzt der Schiene sogar. Die Kontrahenten finden erstaunlich viel Gemeinsames.
DVZ: Frau Wilms, schadet der Lang-LKW dem Kombinierten Verkehr?
Wilms: Wenn wir es richtig machen, kann der Lang-LKW ein Hilfsmittel für den Kombinierten Verkehr sein. Machen wir es falsch, könnte er dem System Schiene richtig große Probleme bereiten.
Was wäre denn „richtig“ – und wer ist „wir“?
Wilms: Der Lang-LKW muss so aufgestellt werden, dass er als Baustein den Kombinierten Verkehr stärken kann. Das tut er, wenn ihm ein schienen- oder wassergebundenes System als Weg für den Langstreckenverkehr offensteht: Er muss kombitauglich sein. Wenn wir aber nur einfach so rechnen, dass wir drei LKW-Fahrten durch zwei ersetzen, erzielen wir vielleicht eine minimale CO2-Einsparung, haben aber politisch trotzdem mit Zitronen gehandelt: Wir würden ein System schaffen, das eigentlich schienenaffine Transporte auf die Straße zieht. Genau hier liegen auch die Bedenken vieler meiner Kolleginnen und Kollegen. Hier geht es also auch um eine politische Steuerungsaufgabe.
Welche politischen Zügel würden Sie dem Lang-LKW denn sonst noch anlegen wollen?
Wilms: Wir müssen beispielsweise die LKW-Maut für die langen Fahrzeuge richtig gestalten. Und die Schiene braucht auf der anderen Seite die nötige Kapazität und Unterstützung, damit sie im Wettbewerb mithalten kann.
Jahncke: Ich sehe schon: Das läuft hier auf einen wunderbaren politischen Kompromiss hinaus! Wenn der Lang-LKW 50 Prozent länger ist als ein normaler, muss er auch 50 Prozent mehr Maut bezahlen. Und wir sollten den Lang-LKW nutzen, um endlich auch die lange Wechselbrücke für den Kombinierten Verkehr salonfähig zu machen – dann könnte der im Kombinierten Verkehr deutlich teurere Sattelanhänger schrittweise abgelöst werden.
Mal abgesehen von den politischen Rahmenbedingungen: Herr Jahncke, Sie vertreten ja vehement die Meinung, dass der Lang-LKW dem Kombinierten Verkehr sogar erhebliche Vorteile bringt. Wo sehen Sie die?
Jahncke: Da muss man nicht großartig rechnen. Je nach Länge von Hauptlauf auf der Schiene und Vor-/Nachlauf auf der Straße sinken die Kosten für den LKW-Anteil um 13 bis 22 Prozent. Damit wird der Kombinierte Verkehr gegenüber dem reinen Straßengüterverkehr deutlich attraktiver. Allerdings muss an der einen oder anderen Stelle in die Erreichbarkeit der Terminals für längere Fahrzeuge investiert werden.
Es gibt Marktstudien namhafter Institute, die anderes behaupten: Durch den Lang-LKW könnten der Schiene bis zu 13 Prozent Ladung entzogen werden, und in einem Dominoeffekt fielen in der Folge ganze Schienentransportsysteme in sich zusammen, weil dann die Grundauslastung fehle. Ist das alles falsch?
Jahncke: Es ist schon viel Unsinn zusammengerechnet worden. Da stecken zum Beispiel Einzelwagenverkehre unter 400 km mit drin …
Wilms: Ach …
Jahncke: Wenn ich das kurz zu Ende ausführen dürfte …
Wilms: Ich unterbreche Sie ja nicht, ich stöhne nur.
Jahncke: … die ohnehin auf der Schiene wirtschaftlich nur schwer darstellbar sind. Dann wird auch noch mit höheren LKW-Gewichten spekuliert – die sind gar kein Thema mehr, es gelten 40 t und 44 t im Kombinierten Verkehr. Eine viel deutlichere Sprache sprechen folgende Zahlen: Ein Lang-LKW hat 51 Palettenstellplätze und eine Nutzlast von 22 t. Eine Palette auf dem Lang-LKW kann also nur rund 400 kg im Durchschnitt wiegen. Das ist hochwertige Handelsware, leichtes Gut. Im Kombinierten Verkehr hingegen reisen heute überwiegend schwere Güter wie Tankcontainer, Papier oder Stahlprodukte; kein Stückgut, kein Paket. Was also soll denn der Lang-LKW an Ladung von der Schiene ziehen?
Wilms: Welche Ladung sollte denn dann ein Lang-LKW in den Kombinierten Verkehr einspeisen?
Jahncke: Das ist eben die Kunst, auf der Schiene wirtschaftlicher zu arbeiten: Sie braucht ein Yield-Management. Heute fahren viele Kombizüge mit nur 550 m Länge, weil sie mit 1700 t die Gewichtsobergrenze erreicht haben. Warum aber machen wir da keine Preispolitik, bei der leichte und schwere Güter einen optimalen Yield erzeugen? Da wäre viel Platz für die typische Ladung eines Lang-LKW. Dann sänken auch die Hauptlaufkosten pro Sendung auf der Schiene – der Kombinierte Verkehr würde nur profitieren.
Wilms: Sie mögen ja recht haben, Herr Jahncke. Aber Sie adressieren das gerade an die falsche Stelle: Das ist ein Thema für die Deutsche Bahn. Herr Grube ist viel zu sehr darauf aus, das Transportsystem Straße auf der Schiene nachzubauen – das kann nicht klappen. Die Preismodelle stimmen nicht, die Leistung auch nicht, die Duss baut Terminals ohne nötige Zwischenlagerflächen. Da gibt es noch viel zu tun. Aber abgesehen davon: Die LKW-Lobby macht schon mächtig Druck gegen jeden Versuch, den Einsatz von Lang-LKW politisch zu steuern.
Jahncke: Hat denn die Branche abgelehnt, dass Einheiten auf dem Lang-LKW kombifähig sein sollen?
Wilms: Einige Marktteilnehmer schon.
Jahncke: Ich stelle mal eine These auf: Wenn die Politik transparent und einheitlich entscheiden würde, dass der Lang-LKW zugelassen wird, wenn er mit je einem umschlagfähigen Wechselbehälter von 13,60 m und 7 m Länge ausgestattet ist, dann gäbe es keinen Widerspruch.
Wilms: Dann liefen hier in Berlin Verbandsgeschäftsführer auf und würden uns die Hölle heiß machen, weil sie Mehrkosten für ihre Mitglieder befürchten.
Jahncke: Die sind viel zu intelligent für solche Aktionen. Abgesehen davon: Würde die Kranbarkeit für Wechselaufbauten bindend, wären die nicht kranbaren bald teurer als die kranbaren.
Und das Mehrgewicht – immerhin eine gute halbe Tonne bei zwei Wechselbehältern – stört Sie gar nicht, Herr Jahncke?
Jahncke: Aber nein. Der Lang-LKW kann über 400 kg pro Palettenstellplatz fahren – und die durchschnittliche Handels- und Stückgutpalette in Deutschland wiegt 270 kg. Das Mehrgewicht für die Kranbarkeit ist da gar kein Problem. Und wer wirklich schwereres Gut fahren will, soll den Kombinierten Verkehr nutzen – da gibt’s ja noch mal 4 t zusätzlich.
Bisher haben wir also als zu setzenden Rahmen die anzupassende Maut und die Kranbarkeit der beförderten Ladeeinheiten. Was noch, Frau Wilms?
Wilms: Die Politik muss bei solch komplexen Entscheidungen immer noch ein bisschen die Finger drinbehalten, als politische Notbremse sozusagen. Aus diesem Grund bin ich dafür, für die Einheiten ein Lizenzverfahren einzuführen. Ein Lang-LKW würde nur dann zugelassen, wenn eine entsprechende kostenpflichtige Lizenz aus einem zu definierenden Kontingent vorliegt. Bei einem solchen Vorgehen behielte die Politik die Möglichkeit, die Anzahl von Lang-LKW im Markt zu steuern.
Jahncke: Einem Unternehmer wie mir stoßen solche Ideen schon übel auf. Ich bin überzeugter Anhänger eines freien Spiels der Kräfte und würde politisches Eingreifen erst dann für nötig halten, wenn was aus dem Ruder läuft. Aber gut. Wenn Fahrzeuge, die im Kombinierten Verkehr eingesetzt werden, eine geringere Gebühr bezahlen würden, könnte das sogar einen gewissen Sinn machen.
Wilms: Auf jeden Fall müsste man ein solches System zeitlich begrenzen, um nach einem angemessenen Zeitraum die Wirkungen im Markt zu untersuchen. Das ist übrigens ein Instrument, das die Politik viel zu selten nutzt.
Wie viel sollte denn eine solche Lizenz kosten – und wie viele Fahrzeuge würden Sie zulassen wollen?
Wilms: Es ist noch zu früh für konkrete Zahlen. Wir müssen ja erst mal einen politischen Konsens herstellen, dann können wir entscheiden. Sicher ist aber: Wir müssen dem System einen politischen Ordnungsrahmen setzen, sonst kriegen wir es nicht durch. „Freies Spiel der Kräfte“, Herr Jahncke, das können Sie in diesem Fall vergessen. Über die Dauer einer Befristung kann man dann immer noch reden.
2013 haben die Grünen noch eine Klage angestrengt mit dem Ziel, den Feldversuch vorzeitig zu beenden. Wodurch hat sich denn diese Einstellung so gewaltig verändert?
Wilms: Sie sollten auch Politikern Lernfähigkeit nicht absprechen! Aber Spaß beiseite: Bei jeder Verhandlung wird gepokert, das beherrschen wir Grünen auch.
Ist das, was Sie vertreten, eigentlich Position Ihrer Fraktion, oder ist es nur die von Valerie Wilms?
Wilms: Wir haben das in der Arbeitsgruppe Verkehr immerhin schon mal besprochen.
Konsens klingt anders …
Jahncke: Ich nehme die Grünen allerdings schon oft als politische Bremser, auch in Sachen Lang-LKW, wahr. Was da Ihr Parteikollege Winfried Hermann gerade in Baden-Württemberg veranstaltet, ist für mich glatte Obstruktion: Er boykottiert den Lang-LKW dadurch, dass er Strecken freigibt, die nichts mit dem Kombinierten Verkehr zu tun haben, und ihn für die verbietet, die vierspurig die Güterverkehrszentren in Kornwestheim und Ulm anbinden. Und dann sagt er: „Seht ihr, der Lang-LKW bringt nichts für den Kombinierten Verkehr.“
Wilms: In Baden-Württemberg hat sich doch schon eine Menge bewegt in Sachen Lang-LKW!
Jahncke: Vielleicht kann ich ja noch ein paar Argumente nachliefern, um Zweifler umzustimmen! Der Lang-LKW hat einen um 20 Prozent kürzeren Bremsweg als ein normal langes Fahrzeug, weil es mehr Achsen gibt, an denen gebremst wird. Das Metergewicht eines LKW – maßgeblich in der Diskussion um Brückenbelastungen – sinkt bei der langen Ausführung um über 30 Prozent. Die Achslast geht bei einem achtachsigen Lang-LKW von 8 auf 5 t zurück. Worüber streiten wir also?
Wilms: Es gibt noch etliche kritische Punkte, die vor einem erweiterten Einsatz langer LKW geregelt werden müssten, Herr Jahncke, und die sollten Sie auch nicht wegreden: Räumzeiten von Bahnübergängen beispielsweise oder ausreichend lange und genügend Parkplätze. Da kämen Kosten auf uns zu – und die könnten mitfinanziert werden durch die genannten Lizenzgebühren.
Frau Wilms, Herr Jahncke, würde das Klima profitieren, wenn Lang-LKW mit Auflagen zugelassen würden?
Wilms: Wenn überhaupt, dann marginal. Viel mehr Klimaeffizienz würden wir erreichen, wenn das Volumen stattdessen auf die elektrifizierte Bahn geht. Aber dieses Thema können weder die Automobilbranche noch die Schienenverkehrswirtschaft allein lösen. Hier ist politische Gestaltung gefragt, um die Stärken der Beteiligten richtig zusammenzubringen.
Jahncke: Ich halte das Umweltargument beim Lang-LKW für vorgeschoben. In Wahrheit geht es den Protagonisten um die Kosten, weil der Spritverbrauch pro beförderter Tonne sinkt und weniger Fahrer gebraucht werden. Bauen wir Konsolidierungszentren an den Rändern der Ballungszentren und bündeln die letzte und erste Meile stärker, um mit hohem Stoppfaktor per Elektro-LKW urbanen Lieferverkehr zu realisieren, sparen wir ein Zigfaches dessen an Emissionen ein, was ein Lang-LKW im Fernverkehr weniger emittieren würde.
Wenn der Feldversuch für Lang-LKW Ende 2016 ausläuft, wird dann eine Entscheidung auf Basis von Argumenten oder eher ideologiegetrieben getroffen?
Wilms: Wenn die Entscheidung noch in dieser Wahlperiode getroffen werden müsste, dann würde das Thema mit hoher Wahrscheinlichkeit zerredet und nicht sachlich diskutiert. Aber der Feldversuch läuft ja erst mal bis Ende 2016, dann folgen Auswertung, Diskussion und schließlich Entscheidung. Ich hoffe, dass wir dann über den September 2017 hinaus sind.
Jahncke: Dem schließe ich mich an. Die Große Koalition hat bei so vielen Themen – auch verkehrspolitischen – so haarsträubend faule Kompromisse produziert, dass man das Thema Lang-LKW unbedingt aus dem Wahlkampf heraushalten sollte.
Interview: Heinrich Klotz und Lutz Lauenroth
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