Risiken im politischen Raum

Rede zum St. Augustiner Expertentreff am 6. Juli 2010

06.07.10 –

Rede zum St. Augustiner Expertentreff am 6. Juli 2010

Meine Damen und Herren,

ich bin hier als Arbeitsschützerin und Politikerin. Beide Tätigkeiten trennt vieles: Anforderungsprofil und Verantwortung sind sehr unterschiedlich, Wissen aus dem einen Bereich kann im anderen zwar manchmal sehr hilfreich sein – oft ist dies aber auch nicht der Fall.

Trotz dieser Unterschiede haben Arbeitsschützer und Politiker jedoch eines gemeinsam: Sie bieten Sicherheit an. Bei beiden Tätigkeiten werden Abläufe überprüft und abgeschätzt, ob daraus ein Problem werden könnte. Wird ein Problem entdeckt, legen beide – mal mehr, mal weniger erfolgreich – fest, wie die Vermeidung aussehen soll. Dann sagen wir in beiden Berufen: Jetzt ist es sicher.

Gleichzeitig muss ich Sie schon zu Beginn dieser Veranstaltung enttäuschen: Denn dieses Versprechen der Sicherheit kann nicht gehalten werden. Endgültige Sicherheit gibt es nicht und ein kluger Mann wie Niklas Luhmann hat das Wort „Sicherheit“ sogar zu einem Leerbegriff erklärt, der einzig dazu da wäre, soziale Konflikte auszutragen. Das Einzige, was Arbeitsschützer und Politiker wirklich anbieten können, ist eine Risikoabwägung oder  Risikoberechnung. Als Ingenieure verlassen wir uns auf die Mathematik und berechnen das Risiko über Eintrittswahrscheinlichkeit und Ausmaß des erwarteten Schadens.

Für die Politik ist das etwas anders: Die Mathematik und selbst beste Statistiken helfen hier überhaupt nicht weiter. Die SPD wird sicher nie vergessen, was die Rente mit 67 für sie bedeutet hat. Die demografische Entwicklung lässt sich auch mit viel Blindheit nicht wegdiskutieren – und schon gar nicht wegrechnen. Da sind die Statistiken ziemlich gnadenlos: Jeder kann sehen, dass es zu wenig junge Leute gibt – und dass wir länger arbeiten müssen, wenn das Rentenniveau nur einigermaßen gehalten werden soll. Aber all diese Statistiken haben der SPD nicht geholfen: Die Partei wurde bitter für eine nicht zu leugnende Realität und die Einführung eines höheren Renteneintrittsalters bestraft. Die letzte Bundestagswahl wurde haushoch verloren.

Damit wird eines sehr deutlich: Politik ist ein ziemlich riskantes Geschäft. Denn während der Ingenieur Tabellen, Richtwerte und Berechnungsformeln hat, wären dies in der Politik ziemlich hilflose Instrumente.

Warum ist das so?

Ein großer Grundirrtum besteht in der weit verbreiteten Annahme, Sicherheit und Risiko wären ein Gegensatz. Irrtümlicherweise geht man oft davon aus, dass bei Vermeidung eines Risikos automatisch Sicherheit die Folge wäre. Dem ist leider nicht so.

Ich hatte schon erwähnt, dass endgültige Sicherheit nicht möglich ist. Unsere komplexe Welt bietet dafür einfach zu viele Faktoren. Neben den bekannten Einflüssen kommen immer noch viele Aspekte hinzu, die nicht einmal bedacht werden, weil sie bis dato unbekannt waren.

Die Ingenieure von BP werden ihnen davon momentan ein Lied singen können. Vor der Katastrophe war man dort sehr sicher der Ansicht, dass ein solches Desaster ausgeschlossen ist. Denn es gibt ja den viel zitierten „Blowout Preventer“. Viel geholfen hat er nicht.

Was bleibt uns Arbeitsschützern und Politikern also, wenn es keine Sicherheit gibt? Die Antwort ist: Es bleibt uns nur die Wahl zwischen Risiko und Risiko. Einzige Hoffnung ist damit das Vertrauen, hoffentlich auch das geringere Risiko gewählt zu haben. Ingenieure können da rechnen – in der Politik dagegen wird es eng. Oder können Sie mir sagen, ob die SPD bei der Rente das geringere Risiko gewählt hat? Viele ringen dort bis heute mit sich, ob es dieser politische Schritt wert war, um Wahlen so desaströs zu verlieren.

Diese Risikowahl mag manchen verzweifeln lassen. Dennoch sollten wir nicht vor Risiken zurückschrecken. Denn Risiken haben auch eine sehr vorteilhafte Seite: In jedem Risiko steckt auch die Chance mit drin. Wäre das nicht so, würden sich nur Verrückte und Selbstmörder auf Risiken einlassen. Nein: Das Schöne und Spannende am Risiko ist die Hoffnung auf den Gewinn – und die schöne Möglichkeit, darauf Einfluss zu haben.

Denn wer ein Risiko eingeht, hat es selbst in der Hand: Der oder die kann bestimmen, ob man sich darauf einlässt oder nicht. Ein Bereich in unserer Gesellschaft ist die Welt der großen Riskierer – wenn ich es mal so nennen darf. Ich spreche von der Wirtschaft. Nur wer dort riskiert, wird sich durchsetzen. Oft ist das zum Vorteil einer Gesellschaft, die zum Beispiel mit neuen Produkten beglückt wird. Oft ist dies leider auch zum Nachteil einer Gesellschaft: Wenn etwa die Finanzwirtschaft munter drauflos zockt und die ganze Welt die Zeche zahlen muss.

Dies ist auch der Grund, warum das Risiko oft so schlecht angesehen ist: Ein anderer geht ein Risiko ein, verzockt sich und anschließend ist man selbst ist von den Folgen betroffen. Und zwar ohne je einen Einfluss drauf zu haben! Ich erinnere nur an die Banken.

Der bereits zitierte Niklas Luhmann hat deswegen seiner Kritik am Begriff der Sicherheit etwas sehr Kluges folgen lassen: Nicht Sicherheit und Risiko stehen sich gegenüber, sondern Risiko und Gefahr. Hierbei legt Luhmann jedoch fest, dass es sich um das gleiche Problem handelt – einziger Unterschied ist die Betrachtungsweise:

  • Habe ich es in der Hand, kann ich entscheiden – dann ist es ein Risiko.
  • Habe ich dagegen keinen Einfluss, dann bin ich betroffen und sehe das Problem als Gefahr.

Als Arbeitsschützer und Politiker stehen wir damit zwischen allen Stühlen: Wir werden von den Betroffenen damit beauftragt, Gefahren abzuwenden. Wir sollen damit gleichzeitig Entscheidungen über bestimmte Risiken fällen – die diese Betroffenen dann möglicherweise wieder als Gefahr wahrnehmen. Siehe Rente mit 67 in der Politik – oder die Thematik Gefahrstoffe im Arbeitsschutz. Wenigstens ist hier schon einmal die Bezeichnung richtig gewählt, wenn wir von Gefahrstoffen und nicht von Risikostoffen reden. Damit rücken wir eindeutig die Wahrnehmung der Betroffenen in den Fokus.

Im Umweltrecht ist festgelegt, was der Bevölkerung an Gefahren zuzumuten ist: eine zusätzliche Erkrankung bei 100.000 Exponierten wird hier als zumutbar angesehen. Im Chemikalienrecht gibt es mit der Gefahrstoffverordnung üblicherweise ein klares Konzept mit gesundheitsbasierten Arbeitsplatzgrenzwerten. Dies bedingt eine Wirkungsschwelle, bis zu der keine Erkrankungsgefahr gegeben ist. Für krebserzeugende Stoffe ist das, wie wir alle wissen, nicht anwendbar.

Im neuen Risikokonzept für krebserzeugende Gefahrstoffe des Ausschusses für Gefahrstoffe wird ein sogenanntes Akzeptanzrisiko für vier zusätzliche Erkrankungsfälle auf 100.000 und ein Toleranzrisiko für vier Fälle auf 1.000 Exponierte vorgeschlagen. Klar ist, dass der Staat die Unversehrtheit der Menschen am Arbeitsplatz gewährleisten muss. Hier versprechen wir also Sicherheit, die es ja – wie ich dargestellt habe – eigentlich nicht gibt.

Vier zu 100.000 als Akzeptanzrisiko ist sicherlich denkbar, wenn man es mit den Risikogrößen aus dem Umweltrecht vergleicht. Letztendlich muss dies jedoch von der Politik diskutiert und beraten werden – damit die Betroffenen die Möglichkeit haben, dieses Risiko abzuwägen. Andernfalls würden sie dieses Akzeptanzrisiko als Gefahr wahrnehmen.

Viel problematischer ist es bei dem Toleranzrisiko. Hier müssen wir ebenfalls die Perspektive der Betroffenen einnehmen: Für sie wären vier zusätzliche Erkrankungen auf 1.000 Exponierte demzufolge eine Toleranzgefahr. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass die Politik sie bewusst einer Gefahr aussetzt, diese quasi toleriert – was unvorstellbar ist. Nur bei einer automatischen Verknüpfung mit Schutzmaßnahmen entsprechend der besten verfügbaren Technik wäre dies überhaupt denkbar. Kostengesichtspunkte dürfen dabei kein Entscheidungsgrund sein.

Wie schon eben angedeutet, dürften die Begriffe Akzeptanzrisiko und Toleranzrisiko jedoch auf Schwierigkeiten im Verständnis bei den Betroffenen stoßen. Grundsätzlich muss man sagen, dass es sich hierbei um Schwellen handelt, bei denen etwas ausgelöst wird:

  • Beim Akzeptanzrisiko wird bei einer Konzentration unterhalb dieser Schwelle eine hinnehmbare Gefahr unterstellt.
  • Beim Toleranzrisiko wiederum bestehen deutliche Gefahren, die jedoch nur tolerierbar sind, wenn die bestverfügbaren Schutzmaßnahmen eingesetzt werden. Darüber hinaus ist die Exposition unzulässig.

Entscheidend ist bei diesen Begriffen letztendlich die gesellschaftliche Debatte. Hier steht die Frage, ob wir es schaffen, den Betroffenen die Risikoperspektive zu verdeutlichen. Wir sollten nicht in die Falle tappen und Euphemismen benutzen. Dieses Problem sehe ich sowohl beim Toleranz- wie auch beim Akzeptanzrisiko.

Zum einen natürlich, weil die Betroffenen diese Risiken als Gefahren wahrnehmen. Zum anderen aber auch, weil Toleranz etwas Positives impliziert und jemanden in dem Glauben lässt, dass die kritische Grenze noch nicht erreicht ist – und das, obwohl bei einem Verhältnis von vier zu 1.000 schon deutliche Gefahren für die Arbeitnehmer vorhanden sind. Auch das Akzeptanzrisiko impliziert, dass alles gut ist, obwohl tatsächlich ein Restrisiko existiert und beim Überschreiten Maßnahmen ergriffen werden müssen.

Damit sind diese Begriffe im gesellschaftlichen Umfeld kaum zu vermitteln. Es sollten deswegen bereits eingeführte Begriffe genommen und politisch debattiert werden. Werden Arbeitnehmer einem Risiko ausgesetzt, ist eine gesellschaftliche Debatte zwingend erforderlich.

Arbeitnehmer haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Daher muss das Verfahren zur Aufstellung der Risikogrenzen gesetzlich geregelt werden. Ein reiner Verwaltungsakt kann dieses Problem nicht lösen.
Um diese Debatte erfolgreich abzuschließen plädiere ich dringend dafür, leicht zu vermittelnde Begriffe für das zu erwartende Risiko durch krebserzeugende Stoffe am Arbeitsplatz zu finden.

Das könnte zum ersten ein so genannter Vorsorgewert sein. bei dem das Risiko für eine Krebserkrankung bei vier zu 100.000 liegt. Bei Überschreiten des Vorsorgewertes sind Vorsorgemaßnahmen, d.h. Schutzmaßnahmen nach der bestverfügbaren Technik zu treffen.

Zum zweiten könnte dies ein so genannter Gefahrenwert sein, wenn das Risiko bei vier zu 1.000 liegt. Mit diesem Begriff würde deutlich erkennbar sein, dass eine ernste Gefahr für den Betroffenen gegeben ist. Bei Überschreitung des Gefahrenwertes bestünde dann ein Expositionsverbot.

Meine Damen und Herren,

ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinem Beitrag die Problematik verdeutlichen und gleichzeitig zeigen, was uns Politiker und Arbeitsschützer verbindet.

Sie haben mit Ihrem Fachverstand ein denkbares Konzept für die Bewertung der Exposition am Arbeitsplatz durch krebserzeugende Gefahrstoffe. Aber die Entwicklung des Risikokonzeptes in Fachkreisen alleine reicht nicht aus, um dem Konzept zur Akzeptanz zu verhelfen bei den Betroffenen. Dazu muss die Debatte in der Politik geführt werden, gerade über die Höhe der gesellschaftlich zumutbaren Risiken. Denn als Entscheider im Auftrag der Betroffenen haben wir eine besondere Aufgabe zu erfüllen.

Lassen Sie uns dies ernsthaft und respektvoll tun und stets daran denken, dass die Menschen in unserem Land Sicherheit wünschen – selbst wenn wir wissen, dass es diese Sicherheit nicht gibt, sondern wir nur zwischen verschieden großen Risiken wählen können.

Herzlichen Dank!

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