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01.01.70 –
Rede im Bundestag (zu Protokoll)
Es gibt im Bundestag ein großes Maß an Betroffenheit, wenn es um Straßen- und Schienenlärm geht. Im ganzen Land haben wir Probleme mit dem Lärm. Unter großen Mühen hat es die Koalition mit Hilfe der Opposition geschafft, wenigstens den sogenannten Schienenbonus – dieses völlig veraltete Lärmprivileg – für neue Schienenstrecken ab 2015 abzuschaffen. Das ist ein kleiner Fortschritt.
Den überwiegenden Teil der Lärmprobleme werden wir damit aber kaum lösen, denn der Lärm entsteht an allen Strecken – nicht nur an neu gebauten Straßen oder Schienen und vor allem nicht nur in Bundesverantwortung. Die meisten Betroffenen gehen damit leer aus. Wir müssen ganz klar sagen: Wer heute an einer lauten Straße oder Schienenstrecke wohnt, hat fast immer einfach Pech gehabt. Das müssen wir ändern. Nur 150 Millionen Euro sind im schwarz-gelben Haushalt für die Sanierung alter Strecken zu finden. Mit den heutigen Mitteln würde es noch Jahrzehnte dauern, bis Betroffenen endlich geholfen wird. Das ist keinem zu vermitteln und auch volkswirtschaftlich unklug: Wenn wir etwa die Hälfte der jährlich entstehenden Kosten einmalig für Lärmschutz ausgeben, können wir die größten Probleme dauerhaft beseitigen und anschließend jedes Jahr sparen.
Mit Interesse sehen ich, dass in der letzten Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit für den Verschleiß unserer öffentlichen Infrastruktur ansteigt. „Der Spiegel“ und „Die Zeit“ haben das Problem zuletzt gut beschrieben. Deswegen müssen wir den Grundsatz „Erhalt vor Neu- und Ausbau“ endlich auch Realität werden lassen. Zum Erhalt gehört für mich ganz klar der Lärmschutz. Wenn wir alte Straßen oder Schienenstrecken anpacken, müssen wir das Lärmproblem mit lösen. Ein neuer Asphalt kann auch gleich ein lärmgeminderter Asphalt sein.
Für die Umsetzung des Sanierungsstaus brauchen wir ein akzeptables Verfahren, wie die Mittel eingesetzt werden sollen. Heute läuft die Lärmsanierung unkoordiniert ab: Der Bund stellt – viel zu wenig – Geld als freiwillige Leistung nach Haushaltslage zur Verfügung. Aber es ist unklar, nach welchem Ablauf saniert wird. Das ist den Ländern weitestgehend selbst überlassen und es gibt keine Vorgabe, dass sich die Baulastträger Bahn, Land, Kommune und Bund abstimmen müssen. Es kann dann schon mal passieren, dass eine Lärmschutzwand nur für eine Schnellstraße, nicht jedoch für die daneben liegende Schienenstrecke ausreicht, weil unterschiedliche Stellen geplant haben.
Kernproblem beim Schutz vor Verkehrslärm ist der fehlende Anspruch auf Lärmminderung. Das wollen wir Grünen ändern und Betroffenen das Recht auf Ausweisung von Lärmsanierungsgebieten geben, wenn es bei ihnen zu laut ist. Da ab 65 dB (A) das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt, wäre ein Schutzanspruch ab einem Pegel von 65 dB (A) (tags) bzw. 55 dB (A) (nachts) für Gebiete mit Wohnnutzung angemessen. Es lässt sich darüber debattieren, ob nicht noch niedrigere Grenzwerte besser wären, denn man kann sich auch schon mit niedrigeren Werten gestört fühlen. Wir müssen aber einen ausgewogenen Mittelweg für ein modernes Industrieland finden. Blätterrascheln kann nicht das Maß der Dinge sein. Es wird immer einen gewissen Lärmpegel geben. Wir müssen uns vor allem darum kümmern, dass nicht Millionen Menschen davon krank werden.
In einem Lärmsanierungsgebiet soll eine Behörde verpflichtet sein, Minderungsmaßnahmen vorzuschlagen und nach einem intensiven Bürgerdialog auch tatsächlich umzusetzen. Denn die heutigen Lärmkartierungen sind meistens folgenlos. Die Sanierungsgebiete sollten auf Grundlage eines einheitlichen Bemessungsverfahrens erfasst und nach Dringlichkeit bearbeitet werden. Je höher das Maß der Lärmüberschreitung und je größer die Anzahl der Betroffenen, desto prioritärer sollen die Sanierungsgebiete eingestuft und nach Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel nach und nach abgearbeitet werden. Mit einem solchen transparenten Verfahren können wir eine klare Perspektive schaffen.
Das kann der Bund nicht alleine in Gang setzen. Zunächst müssen wir umfassend prüfen, welchen Umfang eine umfassende Lärmsanierung hätte, denn die Datengrundlage zu den Kosten ist bisher sehr dünn. Außerdem ist klar, dass Länder und Kommunen einer Regelung nur zustimmen, wenn sie bei den Kosten der Lärmsanierung finanziell unterstützt werden. Wir Grünen wollen die Mittel für den Bund von 150 auf 400 Millionen anheben. Auch die Länder sollten überlegen, welchen Anteil sie leisten können. Selbstverständlich hat der Bund eine zentrale Verantwortung, aber auch die Länder und Kommunen werden von der Lärmsanierung profitieren. Denn wo der Lärm sinkt, da steigen Lebensqualität und der Wert von Grundstücken und Immobilen. Wir brauchen eine verfassungsrechtlich abgesicherte Lösung und ein tragfähiges Finanzierungsmodell und wir fordern Bund und Länder auf, gemeinsam ein solches Modell zu entwickeln. Eine Möglichkeit bietet vielleicht eine vergleichbare Regelung wie bei der Städtebauförderung nach dem Baugesetzbuch, bei der Kommunen mit einem Förderprogramm von Bund und Ländern bei Entwicklung und Erneuerung unterstützt werden.
Mir ist klar, dass unser Vorschlag heute abgelehnt wird. Aber er zeigt eine vernünftige und ausgewogene Perspektive, wie wir elf Millionen Betroffenen helfen können. Um diese Ideen anzupacken, brauchen wir aber wohl ab Herbst neue Mehrheiten in diesem Haus. Nicht nur deswegen müssen wir diese Koalition endlich nach Hause schicken!
gruene-bundestag.de: Straßen- und Schienenlärm wirksam reduzieren
Antrag: Straßen- und Schienenverkehrslärm wirksam reduzieren
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