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Verkehrslärm: Mehr Ruhe

Beitrag für die Fachzeitschrift für Alternative Kommunal Politik (AKP) 04/2013 Im April haben grüne Bundestagsabgeordnete ein Eckpunktepapier zum Lärmschutz an Straßen und Schienenstrecken vorgestellt. Sie schlagen Lärmsanierungsgebiete vor, in denen verbindlich Minderungsmaßnahmen umgesetzt werden müssen und machen Vorschläge zur Finanzierung.

04.07.13 –

Beitrag für die Fachzeitschrift für Alternative Kommunal Politik (AKP) 04/2013

Im April haben die grünen Bundestagsabgeordneten Valerie Wilms, Stephan Kühn, Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius, Daniela Wagner und Harald Ebner ein Eckpunktepapier zum Lärmschutz an Straßen und Schienenstrecken vorgestellt. Sie schlagen Lärmsanierungsgebiete vor, in denen verbindlich Minderungsmaßnahmen umgesetzt werden müssen und machen Vorschläge zur Finanzierung

von Valerie Wilms und Matthias Schröder

Lärm nervt. Viele Menschen, die heute an Straßen oder Schienenstrecken wohnen, werden um Schlaf und Gesundheit gebracht und haben keine Perspektive, wie sich das ändern könnte. In Deutschland entstehen jährlich Lärmkosten in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro, die direkt oder indirekt auf zu hohe Schallwerte zurückgehen. Neben Luftverschmutzung ist Verkehrslärm der zweitgrößte Verursacher von Gesundheitsrisiken. Über elf Millionen Menschen sind davon betroffen.

Die meisten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker kennen das Problem nur zu gut: LKWs donnern durch viel zu enge Straßen und an Bahnstrecken versteht man das eigene Wort nicht mehr, weil Güterzug um Güterzug vorbeidonnert. Menschen und Kommunen haben bisher kaum Mittel und Möglichkeiten, um hieran etwas zu ändern. Oft verlangen Betroffene als einzigen Weg eine Umgehungsstraße. Die könnte den Ort zwar leiser machen, kostet aber viel Geld, zerstört wertvolle Naturflächen und verschiebt das Problem an eine andere Stelle. Hinzu kommt, dass der Bundesverkehrswegeplan hoffnungslos mit niemals zu realisierenden Umgehungsstraßen überfrachtet ist.

Obwohl immer mehr Menschen unter dem Lärm leiden, gibt es bisher nur unklare Verfahren, wie man zu einer Lärmsanierung kommt. Vor allem aber sind die Mittel hierfür viel zu gering. Bei geschätzten Kosten von 1,5 Milliarden Euro für Schienen und  3,4 Milliarden Euro für Straßen würde es mit den heutigen Mitteln (Straße: 50 Mio. Euro/ Schiene: 100 Mio. Euro jährlich) Jahrzehnte dauern, bis es einigermaßen erträglich wird. Das ist keinem Betroffenen zu vermitteln und auch volkswirtschaftlich unklug: Wenn wir etwa die Hälfte der jährlich entstehenden Kosten einmalig für Lärmschutz ausgeben, können wir die größten Probleme dauerhaft beseitigen und anschließend jedes Jahr sparen.

Was müssen wir dafür tun? Mehr Mittel sind nicht das einzige Problem. Wir brauchen auch ein akzeptables Verfahren, wie die Mittel eingesetzt werden sollen. Heute läuft das unkoordiniert ab: Der Bund stellt das Geld als freiwillige Leistung nach Haushaltslage zur Verfügung. Aber es ist unklar, nach welchem Ablauf saniert wird. Das ist den Ländern weitestgehend selbst überlassen und es gibt keine Vorgabe, dass sich die Baulastträger Bahn, Land, Kommune und Bund abstimmen müssen. Es kann dann schon mal passieren, dass eine Lärmschutzwand nur für eine Schnellstraße, nicht jedoch für die daneben liegende Schienenstrecke ausreicht, weil unterschiedliche Stellen geplant haben. Hinzu kommt, dass die Berechnungsverfahren uneinheitlich sind. Nur über transparente und nachvollziehbare Berechnungsverfahren kann die Akzeptanz der festgelegten Schutzziele und der daraus abgeleiteten Sanierungsansprüche bei den Bürgerinnen und Bürgern erreicht werden. Daher muss die Schallpegelermittlung auf nationaler und EU-Ebene vereinheitlicht werden. Neben Mittelungspegeln ist eine Festlegung von Maximalpegeln, die zu keiner Zeit überschritten werden dürfen, notwendig.

Kernproblem beim Schutz vor Verkehrslärm ist der fehlende Anspruch auf Lärmminderung an bestehenden lauten Straßen und Schienenwegen. Die Mittel zur Lärmsanierung werden nur für Straßen in der Baulast des Bundes und Schienenwege der DB AG gewährt. Wer an einer bestehenden lauten Straße oder Schienenstrecke wohnt, hat damit meistens Pech gehabt, denn über 80 Prozent der Straßen sind in Verantwortung von Ländern und Kommunen. Wir brauchen darum einen bundesweit gültigen Anspruch auf Schutz vor Verkehrslärm. Da ab 65 dB (A) das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt, wäre ein Schutzanspruch ab einem Pegel von 65 dB (A) (tags) bzw. 55 dB (A) (nachts) für Gebiete mit Wohnnutzung angemessen. Es lässt sich darüber debattieren, ob nicht noch niedrigere Grenzwerte besser wären, denn im Schlaf kann man sich auch schon mit niedrigeren Werten gestört fühlen. Wir müssen aber ehrlich sein und abwägen: Blätterrascheln kann nicht das Maß der Dinge für ein modernes Industrieland sein. Es wird immer ein gewissen Lärmpegel geben. Wir müssen uns deswegen vor allem darum kümmern, dass nicht Millionen Menschen davon krank werden.

Den Schutz können wir am besten mit Lärmsanierungsgebieten erreichen. Betroffene sollen das Recht auf Ausweisung eines Lärmsanierungsgebietes erhalten, wenn es bei ihnen zu laut ist. In so einem Gebiet soll eine zuständige Behörde (die sicher am sinnvollsten kommunal wäre) verbindliche Minderungsmaßnahmen vorschlagen und nach einem intensiven Bürgerdialog umsetzen. Die möglichen Lärmschutzmaßnahmen sollten entsprechend ihrer Wirksamkeit eine Rangfolge erhalten. Organisatorische Maßnahmen wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, Verkehrslenkung oder Beschränkungen für den Lkw-Verkehr sollen als erstes geprüft werden. Führen diese Maßnahmen nicht zu ausreichendem Schutz, sollen kollektiv wirksame Maßnahmen in der Nähe der Lärmquelle gewählt werden, etwa als Sanierung mit lärmoptimiertem Asphalt oder durch Einsatz von Schallschutzwänden. Kollektiv wirksame Maßnahmen, die einen größeren Kreis der Betroffenen schützen, sollen einen Vorrang vor Maßnahmen mit Wirkungen nur für einzelne Betroffene erhalten. Wenn auch diese Maßnahmen nicht für die erforderliche Senkung des Lärmpegels ausreichen, soll passiver Lärmschutz in der Nähe der Betroffenen in Form von Schallschutzfenstern o.a. gewährt werden. Lärmschutzfenster sind heute oft das erste Mittel der Wahl, weil Lärmverursacher damit keine anderen Maßnahmen ergreifen müssen. Aus Sicht der Betroffenen sind sie jedoch meist nur das letzte Mittel, da Fenster keinen Lärmschutz im Garten oder auf dem Balkon ermöglichen. Und wer möchte schon den ganzen Tag bei geschlossenem Fenster in der Wohnung sitzen?

Viele Kommunen haben bereits Erfahrungen mit der Lärmkartierung gemacht. Das kann als Ausgangsbasis genutzt werden – nur brauchen wir jetzt auch Verbindlichkeit zur Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen. Die Sanierungsgebiete sollen auf Grundlage eines einheitlichen Bemessungsverfahrens erfasst und nach Dringlichkeit bearbeitet werden. Je höher das Maß der Lärmüberschreitung und je größer die Anzahl der Betroffenen, desto prioritärer sollen die Sanierungsgebiete eingestuft und nach Höhe der zur Verfügung stehenden Mittel nach und nach abgearbeitet werden. Zweckmäßig ist es dazu, eine Kennzahl für Lärmsanierungsgebiete zu entwickeln, die sich aus der Höhe der Lärmüberschreitung und der Anzahl der Betroffenen ergibt. Mit dieser Kennzahl kann die Dringlichkeit klar festgelegt werden. Mit einem solchen transparenten Verfahren können wir eine klare Perspektive schaffen. Eine Regelung sollte sinnvollerweise die bestehenden Gesetze und Verordnungen zusammen fassen. Als neues Verkehrslärmschutzgesetz müsste es die Regelungen der 16. und 34. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) sowie die §§ 41 bis 43 und die §§ 47a bis f Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) zusammen führen.

Die Finanzierung der Lärmsanierung soll bei mehreren Lärmquellen durch eine Kostenaufteilung entsprechend der energetischen Verursachungsbeiträge erfolgen. Die jeweiligen Lärmanteile von Straßen und Schienenstrecken in Verantwortung von Bund, Land oder Kommune legen dabei den Finanzierungsbeitrag des jeweiligen Baulastträgers fest. Eine Methode hierzu wurde in einem Gutachten[1] für das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg“ vorgestellt. Hieran kann sich eine Regelung orientieren.

Kommunen sind schon heute vielfach an der Grenze des finanziell Möglichen angelangt. Da etwa 80 Prozent der Straßen kommunal oder landeseigen sind, werden Länder und Kommunen einer verbindlichen Regelung nur zustimmen, wenn sie bei den Kosten der Lärmsanierung finanziell unterstützt werden. Mit den heutigen Mitteln kommen wir nicht weit. Bevor wir eine Festlegung treffen, müssen wir umfassend prüfen, wie hoch die möglichen Kosten einer Lärmsanierung an Straßen und Schienenstrecken tatsächlich sind. Derzeit ist da die Datenlage noch ziemlich dünn. Erst dann können wir wirklich abschätzen, welche Mittel wir brauchen. Die Grünen setzen sich für eine Verdopplung der Mittel für die Lärmsanierung an Schienenwegen auf 200 Millionen Euro und für eine Vervierfachung zur Lärmsanierung an Straßen auf ebenfalls 200 Millionen Euro ein. Das ist eine ganze Menge, aber es bleibt fraglich, ob das ausreicht. Deswegen müssen wir auch weitere Möglichkeiten debattieren. Neben einer Beteiligung der Länder wäre es sachgerecht und zielführend, die Lkw-Maut zur Finanzierung der Kosten für die Lärmsanierung im Straßennetz heranzuziehen. Möglich wären die Einführung einer Lärmkomponente bei der anstehenden Überarbeitung der Lkw-Maut und die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen und Fahrzeuge ab 3,5 t, um die Mittel zur Internalisierung der Lärmkosten zweckgebunden für die Lärmsanierung des Straßennetzes einzusetzen. Ein weiterer Finanzierungsvorschlag ist ein sogenannter Lärmcent. Eine solche zusätzliche Abgabe von einem Cent pro Liter Benzin bzw. Diesel innerhalb der Energiesteuer würde die Verursacher von Straßenlärm am Abbau von Lärmbelastungen beteiligen. Für einen durchschnittlichen Autonutzer wären das jährlich Mehrkosten von etwa 8 Euro. Jeder und jede kann überlegen, ob ihm mehr Lärmschutz diesen einen Cent mehr pro Liter wert ist.

Problematisch bei der Finanzierung der unterschiedlichen Baulastträger ist die Mischfinanzierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Mit dem Artikel 104b Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes sind uns hier Grenzen gesetzt. Denkbar sind deswegen Bund-Länder-Vereinbarungen, wie sie z.B. durch Abstufung nicht mehr fernverkehrsrelevanter Bundesstraßen getroffen wurden. Eine weitere Möglichkeit ist eine vergleichbare Regelung wie bei der Städtebauförderung (Baugesetzbuch §§ 136 bis 191), bei der Kommunen mit einem Förderprogramm von Bund und Ländern bei Entwicklung und Erneuerung unterstützt werden. Die Verhandlungen für eine Nachfolgeregelung zum Entflechtungsgesetz (ehemalige Länderprogramme nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) bieten eine Möglichkeit, um eine entsprechende Regelung zur Lärmsanierung zu treffen. Dabei müsste die Zweckbindung eines Teils der Mittel für den kommunalen Straßenbau für die Lärmsanierung vorgesehen werden. Es müsste den Ländern erlaubt werden, einen zu definierenden Betrag auch für die Lärmsanierung entlang von Landesstraßen und kommunalen Straßen oder NE-Bahnen zu verwenden. Im Rahmen einer solchen Vereinbarung sollten die Länder auch eigene Anteile zusagen. Zu prüfen wäre hier die Möglichkeit eines Fondsmodells, an dem Bund und Länder beteiligt sind.

Es ist klar, dass Verkehrslärm neben Straßen und Schienenstrecken auch wesentlich durch Start und Landung von Flugzeugen entsteht. Für den Fluglärm bestehen Regeln im Fluglärmschutzgesetz. Auch dieses Gesetz muss evaluiert und überarbeitet und um Vorgaben zum aktiven Lärmschutz und zur Begrenzung des Fluglärms im Umfeld der Flughäfen ergänzt werden. Eine gemeinsame Regelung von Straßen-, Schienen- und Fluglärm wäre grundsätzlich wünschenswert. Wichtiger ist es jedoch, überhaupt eine Regelung für die Lärmsanierung an Straßen und Schiene zu erreichen. Eine gemeinsame Behandlung der unterschiedlichen Gesetzgebungsverfahren würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine Verbesserung zu verzögern oder gar zu verhindern. Deswegen erscheint es sinnvoll Straßen- und Schienenlärm sowie Fluglärm zunächst in unterschiedlichen Gesetzen zu behandeln. Da eine Regelung für Straßen- und Schienenlärm mit einem Artikelgesetz sinnvoll ist, könnte das Fluglärmgesetz später als Bestandteil aufgenommen werden.

Valerie Wilms studierte Maschinenbau, war bis zum Einzug in den Bundestag Kommunalpolitikerin in Wedel im Kreis Pinneberg und ist Sprecherin für Bahnpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Matthias Schröder studiert Public Management an der Hertie School of Governance und ist Büroleiter von Valerie Wilms.

 

[1] W2K Rechtsanwälte/ LÄRMKONTOR GmbH (2012): Bewältigung von (Gesamt-)Lärmbelastungen – Straße und Schiene: Ein Regelungskonzept vorgelegt für das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg

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