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06.11.15 –
Rede zu Protokoll
Regelung der Sterbebegleitung
„Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Das hat schon Montesquieu festgestellt.
Genau an dieser Stelle stehen wir heute. Der Bundestag hat sich dem Thema assistierter Suizid mit viel Zeit und großer Ernsthaftigkeit angenommen. Es gab eine offene Debatte, eine weitere Debatte zu den entstandenen Gesetzentwürfen und eine große Anhörung. Es gab zahllose Artikel und Veranstaltungen. Das Thema Sterben ist aus der Tabuecke raus und das ist richtig so.
Froh bin ich allerdings auch darüber, dass es gelungen ist, eine echte Alternative zu den bislang vorliegenden Entwürfen vorzulegen und zur heutigen Debatte einzubringen. Alle bislang vorliegenden Gesetzentwürfe enthalten Einschränkungen der jetzigen Rechtslage. Das kann und werde ich nicht unterstützen. Ich möchte nicht, dass die Möglichkeit zum assistierten Suizid in welcher Form auch immer eingeschränkt wird. Das sieht auch der weit überwiegende Teil der Bürgerinnen und Bürger so. Die vertreten wir ja hier im Bundestag. Deshalb unterstütze ich den Antrag „keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe“.
Man kann es offensichtlich nicht oft genug wiederholen: der assistierte Suizid ist seit 150 Jahren straffrei. Es geht nicht darum, den assistierten Suizid zu liberalisieren oder aktive Sterbehilfe zuzulassen, auch wenn ich damit kein Problem hätte. Den Warnern und Angstmachern möchte ich noch einmal deutlich machen: Es gibt keine Tür, die heute geöffnet werden könnte. Die Tür steht offen, seit anderthalb Jahrhunderten. Bislang sind die Massen nicht gekommen, die da durchwollen. Ich sehe keinen einzigen Grund, warum sich das plötzlich ändern sollte. Ich habe auch noch keinen überzeugenden Grund gehört. Es wird hier auch nicht der Weg zur aktiven Sterbehilfe bereitet, es liegt ja kein einziger wirklich liberaler Entwurf vor, auch wenn gerne anderes behauptet wird. Es geht heute nur darum, Menschen, die in höchster Not um Hilfe bitten, diese Hilfe nicht in Zukunft verweigern zu müssen und die Helfer dann auch noch zu kriminalisieren.
Bei der Debatte um den assistierten Suizid scheint es mir vor allem um irrationale Ängste einzelner und um Moral- und Glaubensvorstellungen zu gehen. Diese Dinge haben aber in der Gesetzgebung nichts zu suchen! Das sagen uns auch die Menschen draußen, die sich zu einem Großteil dagegen wehren, dass eine so elementar persönliche Entscheidung wie das eigene Sterben so stark eingeschränkt wird, wie es zum Beispiel durch den Entwurf von Brand/Griese geschehen würde.
Ich vertrete ein liberales Menschenbild, dass den Menschen als eigenverantwortliches Individuum begreift. Ich halte das auch für ein konstituierendes Merkmal einer Demokratie. Diese Gesetzgebung entfernt sich weit davon, den Menschen als eigenverantwortliches Individuum zu respektieren. Das ist ein verheerendes Signal für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Der Gesetzgeber hat nicht das Recht, individuelle Moralvorstellungen mit Hilfe des Strafrechts zu allgemein gültigen Regeln zu erklären. Das wäre der Dammbruch, vor dem die Befürworter einer Strafrechtsverschärfung immer warnen.
Die Gesetzentwürfe, die Debatte im Parlament, mit der Zivilgesellschaft und fachlichen Vertretern wie Juristen und Ärzten hat eines gezeigt: Die eine Wahrheit gibt es nicht. Vieles, was die einen als unumstößliche Tatsache verkaufen, wird von der Gegenseite mit Leichtigkeit widerlegt. Es ist eben nicht so, dass die Legalisierung von Sterbehilfevereinen die Menschen in den Suizid drängt. Das müsste ja bereits eingetreten sein.
Es ist eben nicht so, dass Ärzte die im Palliativbereich arbeiten, nicht von Strafverfolgung bedroht sind. Sie bekommen schon jetzt regelmäßig Besuch von Polizei und Staatsanwalt. Bislang werden solche Verfahren richtigerweise immer eingestellt. Das wird sich aber bei einer Verschärfung logischerweise ändern. Das hindert die Ärzte am Helfen, wie kann das dem Schutz der Patienten dienen? Diese werden dann eben alleingelassen.
Wenn Palliativärzte fürchten müssen, für ihre Arbeit strafrechtlich belangt zu werden, werden sie bestimmte Angebote wie die Überlassung größerer Mengen an Schmerzmitteln nicht mehr machen. Dem einzelnen handelnden Arzt kann man daraus keinen Vorwurf machen. Nein, diesen Vorwurf, Menschen in großer Not von Hilfe ausgeschlossen zu haben, den muss sich dann das Parlament machen.
Ich sage Ihnen: Es ist kein Zeichen von Handlungsunfähigkeit, wenn heute am Ende des Tages kein neues Gesetz steht, dass die Beihilfe zum Suizid einschränkt. Nein, es ist ein Zeichen dafür, dass die Volksvertreter, die heute hier versammelt sind, Debatten und Argumente ernst nehmen, abwägen und auch zu ihren Erkenntnissen stehen. Manchmal kann es, nach reiflicher Abwägung, auch besser sein, nicht zu handeln. Heute ist so ein Tag. Deshalb werde ich heute, und ich bitte Sie herzlich, das auch zu tun: 4 mal mit Nein stimmen. Den Antrag „Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe“ unterstütze ich.
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