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07.11.15 –
Grußwort zum Deutschen Tag des Bundes der Nordschleswiger
Ich freue mich, wieder hier bei Ihnen sein zu können. Als Mitglied der kleinsten Fraktion im Deutschen Bundestag darf ich heute als Vertreterin für die Bundestagsabgeordneten zu Ihnen sprechen. Das ist für mich eine große Ehre. Dafür danke ich Ihnen.
Der Deutsche Bundestag wird auch im nächsten Jahr seine Zusagen einhalten und die Nordschleswiger unterstützen. Wie im letzten Jahr werden Sie als deutsche Minderheit hier in Dänemark wieder knapp 10 Millionen Euro für ihre sozialen und kulturellen Aktivitäten erhalten (Soll 2015: 9,744 Mio.€; Soll 2016: 9,782 Mio €).
Dies steht natürlich noch unter dem Vorbehalt eines endgültigen Beschlusses des Bundestages. Mir ist jedoch nicht zu Ohren gekommen, dass die Koalition vom Entwurf abweichen will. Auch die Grünen werden die Mittelzusage für Sie wie in den Jahren zuvor unterstützen.
Diese Mittel gründen auf Vereinbarungen aus dem 50er Jahren zwischen Dänemark und Deutschland. Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen, die bis heute selbstverständlich gültig sind, erfolgten auch aus gegenseitiger Verantwortung. Sie erfolgten aus dem Wissen, dass ein friedliches Zusammenleben in Europa nur möglich ist, wenn Grenzen das Trennende verlieren.
Wir haben in Europa zu viel an gemeinsamer Kultur und Erfahrung, um uns gegenseitig abzugrenzen. Dieses gemeinsame europäische Bewusstsein hat uns 60 Jahre lang geprägt. Generationen sind deswegen in einem friedlichen Europa groß geworden. Jahrzehnte der Politik auf dem Kontinent waren davon geprägt, an einem gemeinsamen europäischen Haus zu bauen.
Natürlich gab es immer unterschiedliche Wünsche. Schließlich richtet ja auch jeder seine Wohnung so ein, wie es ihm selbst gefällt. Der Nachbar mag es eben manchmal etwas anders. Das ist völlig in Ordnung und oft auch viel interessanter. Von Nachbarn, die es etwas anders machen, kann man schließlich auch was lernen.
Wie neidvoll schauen viele Grüne oft nach Kopenhagen – wo so viele mit dem Fahrrad fahren. Oder nach Schweden, wo so wenige Menschen bei Verkehrsunfällen sterben wie sonst nirgendwo.
Das gute an Europa ist, dass wir so viel voneinander lernen und uns gegenseitig bereichern können. Dieses Bewusstsein hat unsere Politik jahrzehntelang geprägt. Wir haben zusammen an einem Haus gebaut. Jeder sollte hier seinen Platz finden – und ich bin der Ansicht: Es hat auch jeder seinen Platz gefunden.
Es war für mich persönlich lange nicht vorstellbar, dass dieses Gemeinschaftswerk etwas erschüttern könnte. Natürlich wurde sich immer viel und auch heftig gestritten. Und natürlich wurde auch vieles sehr unterschiedlich bewertet und anders gemacht – man denke nur an den Euro. Mein Grundbewusstsein war aber immer: Es gibt für alles eine Lösung. Für jedes Problem gibt es einen Kompromiss, mit dem alle gut leben können.
Denn niemand hat die Fundamente in Frage gestellt. Alle wussten: Egal wie wir uns einigen – am Ende profitieren wir alle von dem Fundament. Alle hatten und haben etwas davon, dass es ein Parlament und dauerhaft funktionierende Institutionen gibt. Alle haben etwas davon, dass wir stets in Kontakt bleiben und uns auf den verschiedensten Ebenen miteinander austauschen.
Denn wer redet und verhandelt, der bekämpft sich nicht. Der sucht nach friedlichen Wegen – und zwar dauerhaft.
In den letzten Jahren hat sich jedoch etwas geändert. Das von allen jahrzehntelang akzeptierte Fundament hat Risse bekommen. Manche agieren nur verbal, andere stellen das Fundament aber auch offen in Frage.
Die Flüchtlingskrise hat das besonders deutlich werden lassen. Nationaler und auch regionaler Egoismus sind wieder zu einem beherrschenden politischen Leitbild geworden. Ein Land mitten in Europa (Ungarn) zieht einen Zaun um sein Land und erklärt sich anschließend nur noch zum „Beobachter“ der Flüchtlingskrise.
Aber auch ohne Zaun handeln andere Länder nach dem gleichen Prinzip: Sie wollen die Flüchtlingskrise nicht als europäische Aufgabe sehen, sondern dem nächsten Nachbarn das Problem zuschieben. Hier wird nicht mehr an den Nachbarn gedacht. Jeder denkt nur an sich.
Das ist kurzsichtig und falsch. Alleingänge sind nicht die Lösung sondern Teil des Problems. Sie verschärfen die Krise statt sie zu entspannen.
Sie haben sogar in der Konsequenz das Potenzial, die Europäische Union als gemeinsame Basis für ein friedliches Zusammenleben auf unserem Kontinent zu sprengen.
Ich bin erstaunt, wie Politiker von Problemen in ihren Ländern ablenken, indem sie einfach europäischen Institutionen die Verantwortung zuschieben. Europa wird sogar zum Feindbild gemacht. Wer in dieses Horn stößt, kann erstaunlich erfolgreich sein – und zwar in allen Richtungen des politischen Spektrums.
Viele spielen inzwischen auf dieser antieuropäischen Klaviatur mit. Ich habe den Verdacht, dass denen nicht ganz klar ist, was sie damit aufs Spiel setzen.
Jeder der hier mitspielt sollte sich aber bewusst sein: Die Europäische Union hat uns die bisher längste Friedenperiode auf dem Kontinent ermöglicht. So kompliziert, bürokratisch und unfertig sie oft auch sein mag: Sie ist ein Friedensgarant.
Wer sie aushöhlt, ihre Kompetenzen zurück drängen will und wieder nationalen Alleingängen den Vortritt lassen möchte, der stellt auch das gesamte Friedensfundament in Frage. Das kann und darf nicht unser Interesse sein.
Es ist auch deswegen richtig und wichtig, über Grenzen hinweg zusammen zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Mittel aus der Bundesrepublik für die Nordschleswiger sind deswegen auch ein kleiner Mosaikstein für ein friedliches Zusammensein in unserem Haus Europa. Eine Gemeinschaft ist so stark, wie sie sich um ihre Minderheiten kümmert. Das war lange Europas Stärke. Und das sollte Europas Stärke bleiben.
Herzlichen Dank!
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