Worum geht es eigentlich bei dem Finanzproblem, das wir zur Zeit in Europa haben?

Es ist weder allein eine Schuldenkrise, noch eine Bankenkrise, noch eine Eurokrise. Die Politik ist bislang einfach nicht bereit gewesen, wirklich in Richtung eines Zusammenwachsens von Europa voranzugehen. Wir müssen aber auch auf liebgewonnene eigene Entscheidungsmöglichkeiten zugunsten des Gesamtsystems Europa verzichten.

26.07.12 –

Es ist weder allein eine Schuldenkrise, noch eine Bankenkrise, noch eine Eurokrise. Wenn wir alle Schichten der Zwiebel Europa abpellen, bleibt die mangelnde Einsichtsfähigkeit und der fehlende Einigungswillen einschließlich der Bereitschaft zu wirklich tragfähigen Kompromissen durch die handelnden politischen Eliten übrig. Die meisten Politikerinnen und Politiker sind bislang einfach nicht bereit gewesen, wirklich in Richtung eines Zusammenwachsens von Europa voranzugehen und dabei auch auf liebgewonnene eigene Entscheidungsmöglichkeiten zugunsten des Gesamtsystems Europa zu verzichten. Mit solch einer Hasenfüßigkeit ist Europa zum Spielball der Spekulanten geworden.

Eine gemeinsame Währung kann nur funktionieren, wenn auch eine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik gemacht wird. Das ist schon in den 90er Jahren, als der Beschluss zur Einführung des Euro von der Politik gefällt wurde, allen Fachleuten klar gewesen. Nur die damals handelnden Politikerinnen und Politiker haben sich nicht getraut, dieser Wahrheit ins Auge zu sehen. Sie wollten lieber weiterhin ihre nationalen Süppchen kochen, anstatt sich wirklich an das Nationbuilding für Europa heranzumachen. Darum sind damals die Stabilitätskriterien festgelegt worden. Wissenschaftliche Grundlagen gab es dafür nicht und es hat ja auch nicht lange gedauert, bis Deutschland als erstes Land des Euroraums (und danach auch Frankreich) die selbstgeschaffenen Stabilitätskriterien verletzt hat. Das sollten wir nicht vergessen! 

Durch den gemeinsamen Währungsraum hat es natürlich zunächst Erleichterungen für die wirtschaftlich nicht ganz so starken Staaten bei der Kapitalbeschaffung gegeben. Sie konnten von niedrigeren Zinsen profitieren, da die Anleger damals davon ausgingen, dass in diesem Währungsraum sich wirklich eine gemeinsame Politik entwickelt.

Dieser Auffassung der Märkte sind die bislang politisch Handelnden nie gerecht geworden. Statt an der politischen Union weiter aktiv zu arbeiten und nach der Währungsunion auch die europäische Nation zu bauen mit Staatsgebiet, Identität und vor allem demokratischer Legitimation, haben die handelnden Politiker sich immer mehr abgegrenzt und dem Wettbewerb zwischen den Euro-Staaten als wesentliches Element von Europa gelobt, obwohl wir eine gemeinsame Währung haben. Zu einem Zusammenwachsen gehört auch, sich anzupassen und etwas aufzugeben um etwas Neues zu erhalten. Also eine europäische Regierung zu wählen von einem über europäische Listen gewählten Europaparlament. Das wäre das Europa der Zukunft, dass eine wichtige Rolle im Konzert der Volkswirtschaften der Welt halten könnte. 

Tatsächlich ist Europa aber zu einem Gebilde der Exekutive, der Regierungen der Nationalstaaten, verkommen mit einem Europaparlament mit eingeschränkten Rechten. Oder wie Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, bei einem Besuch in der grünen Bundestagsfraktion Fraktion sinngemäß sagte: Wir haben Europa gewollt und einen Verwaltungsmoloch bekommen. Denn für die andere und in meinen Augen richtige Lösung hätte es starker politischer Persönlichkeiten bedurft, wie Adenauer, Brandt, Kohl, Schröder oder Mitterand bzw. auch Thatcher. Wo sind die heute?

Als die Märkte diese Situation erkannten, war der Weg nicht weit, gegen schwächere Teile aus dieser Währungsunion zu spekulieren. Dass dies funktioniert, hatte schon Warren Buffett vor etlichen Jahren gezeigt, als er erfolgreich gegen das britische Pfund gewettet hatte. Unterstützt wurden diese Wettmöglichkeiten dadurch, dass Politikerinnen und Politiker üblicherweise dem hinterherlaufen, was  gerade für populär gehalten wird. Oft haben sie nicht den Mut , sich mit ihren Wählern anzulegen und unpopuläre Sparbeschlüsse zu fassen, wie damals Gerhard Schröder mit den Hartz-Regelungen. 

In den 90er Jahre war die Deregulierung in aller Munde. Unter Rot-Grün wurden Ende der 90er Jahre auch die letzten Schranken für die Finanzwirtschaft fallen gelassen und ein künstlicher Markt für Finanzprodukte geschaffen. Den hat auch gerne die Politik zur Finanzierung neuer Ausgaben, die nicht durch Einnahmen gedeckt waren, auf allen staatlichen Ebenen genutzt. Die Finanzwirtschaft war damit von der Realwirtschaft abgekoppelt. Ihre eigentliche Funktion, die Geldversorgung für die Realwirtschaft sicherzustellen, geriet immer mehr in den Hintergrund. Außerdem setzten Konzentrationsprozesse ein, mit dem immer größere Finanzinstitute geschaffen wurden. Es begann ein Wachstumskreislauf, bei dem vor allem in Deutschland die staatlichen Landesbanken eine sehr unrühmliche Führungsrolle gespielt haben. Mit der Pleite von Lehman Brothers in 2008 zeigte sich die ganze Seifenblasenkonstruktion der Finanzwirtschaft.

Wie kommen wir jetzt aus der Falle raus, in die uns die bisherigen Politikergenerationen durch ihre Kurzsichtigkeit gebracht haben?

Sicherlich nicht, indem wir das gesamte Wirtschaftssystem aufs Spiel setzen wie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Wir müssen jetzt erst einmal in dem bisherigen Regelsystem deutlich zu erkennen geben, dass Europa bereit ist, füreinander solidarisch einzustehen. Das ist bisher über den EFSF, den ESM und auch den Fiskalpakt erfolgt. Leider sind diese Maßnahmen alle noch nicht ausreichend zielgerichtet auf ein gemeinsames solidarisches Europa. Vor allem sind sie viel zu spät in Gang gesetzt worden, nach langem Zögern der in Verantwortung stehenden Politikerinnen und Politiker. Parallel muss an der Wiedereinführung einer strikten Bankenregulierung gearbeitet werden. 

Bis auf einige kleine nationale Regelungen zu ungedeckten Leerverkäufen, Beschränkungen bei den Credit Default Swaps und jetzt der Einführung einer gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht ist da noch nicht viel durch die Politik geschehen. Vor allem haben die meisten Politikerinnen und Politiker noch nicht den Ernst der Lage für das gesamte europäische System begriffen. Denn das wäre ein Eingeständnis, dass sie bislang nicht ausreichend gehandelt haben und sich im wesentlichen nur an der Sicherung der eigenen Vorteile orientieren.

Alle notwendigen Entscheidungen werden weh tun und bestimmte Geschäftsmodelle der Finanzwirtschaft unmöglich machen. Solche Entscheidungen werden von Politikerinnen und Politiker nur unter extremem Druck der Wirklichkeit getroffen, denn die Wiederwahl könnte ja auf dem Spiel stehen. Darum trotteln wir in der Politik eigentlich immer nur den Spekulanten hinterher.

Mit dem Verzicht auf die Hilfe für die Banken in Spanien aus dem ESFS hätten wir nichts in der notwendigen Richtung erreichen können. Natürlich haben sich die Banken dort - in Spanien sind es im wesentlichen die Sparkassen - mit ihren Krediten in der Immobilienblase verhoben. Die Politik hat es ihnen aber auch zu leicht gemacht, indem immer wieder neue Träume über die wirtschaftliche Weiterentwicklung vermittelt wurden, obwohl auch die Staaten nur noch auf Pump leben. 

Darum hätte eine Verweigerung der spanischen Bankenhilfe zwar die spanischen Sparkassen in die Pleite getrieben und damit deren Eigentümer belastet. Die dann notwendigen Sozialmaßnahmen würden aber beim spanischen Staat landen und damit über die Währungsunion auch bei uns. Ist so etwas eine sinnvolle Politik? Meines Erachtens nicht, denn sie befriedigt zwar Feindbilder, wie sie Sahra Wagenknecht immer wieder so gerne zeichnet, doch zu einer Lösung führt sie nicht.

Die Lösung geht nur, indem wir uns alle klar machen, wohin wir wollen. Wir müssen dann die notwendigen ehrlichen Maßnahmen treffen und vor allem mit den Menschen offen kommunizieren. Wir müssen jetzt wirklich an die Bankenregulierung ran, dann den echten Ausgleich der staatlichen Haushalte realisieren - sowohl durch Begrenzung der Ausgaben als auch durch Generierung von mehr Einnahmen. Und dann müssen wir vor allem auch noch die notwendigen Grundlagen für die demokratisch legitimierten Vereinigten Staaten von Europa schaffen. Denn nur als eine Nation Europa sind wir überhaupt noch in der Weltwirtschaft ein wesentlicher Baustein und spielen in derselben Liga wie die Vereinigten Staaten von Amerika und China. Ohne dieses Zusammenwachsen in Europa kann Deutschland noch für kurze Zeit mithalten, aber die BRICS-Staaten (und da vor allem Brasilien) sind dabei, uns in der Wirtschaftsleistung zu überholen.

Gerade beim Umgang mit den Steuern müssen wir in Deutschland und großen Teilen Europas endlich umdenken. Die Amerikaner wollen keine Steuern zahlen, erwarten aber auch von ihrem Staat keine Leistungen. In den skandinavischen Ländern erwarten die Menschen erhebliche Leistungen von ihrem Staat, sind dafür auch bereit, Steuern zu bezahlen. Und was ist mit Deutschland? Hier wollen die Menschen jede nur denkbare Sozialleistung, auch wenn sie sie nicht unbedingt persönlich benötigen, wie gerade das Beispiel Betreuungsgeld wieder sehr drastisch zeigt. Sie sind aber nicht bereit, dafür auch dem Staat die notwendigen Einnahmen zu ermöglichen. Steuerverkürzung ist heute Volkssport in Deutschland geworden.

Wer Leistungen vom Staat will muss auch bereit sein, den Staat zu finanzieren. Das müssen die Politikerinnen und Politiker auch endlich von den Menschen in Deutschland und Europa ehrlich einfordern und nicht andere Versprechungen machen. Geld fällt nicht vom Himmel, auch nicht für den Staat. Zu den notwendigen Lösungen gehört nicht nur ein einfaches und wirksames Steuerrecht ohne verwirrende Steuersparmöglichkeiten. Hierzu gehört auch eine echte Neuaufstellung der Sozialsysteme mit einem bedingungslosen Grundeinkommen über eine negative Einkommensteuer und ein Lastenausgleich der Besitzenden, wie er nach dem 2. Weltkrieg existierte. 

Bislang hat es in Deutschland noch keine Regierung geschafft, die Staatsschulden wirklich abzubauen und die notwendigen Instrumente zu schaffen. Auch im Jahr 2011, als die Konjunktur richtig brummte, weil wir viel nach Europa (gerade in die Euro-Staaten) und in die Welt liefern konnten, und damit die Steuereinnahmen sprudelten, haben wir im Bund immer noch knapp 20 Milliarden Euro neue Staatsschulden gemacht. Da werden leider immer wieder Wahlversprechen gemacht, denn das geht ja einfacher als sich wirklich einmal ehrlich mit den Wählerinnen und Wählern über die tatsächliche Situation auseinander zu setzen.

Es macht mich schon betroffen, wie wenig Bereitschaft bei den meisten Politikerinnen und Politiker vorhanden ist, diesen steinigen aber zwingend notwendigen Weg zu gehen und das auch offen zu kommunizieren. Ich bin in den 60er Jahren mit dem Wunsch nach Europa groß geworden. Das war immer mein Ziel. Ich sehe jetzt, wie das unter dem Ansturm der Spekulanten und vor allem der fehlenden Entscheidungsfreude der Politik und deren Bereitschaft, den Menschen die Situation schonungslos zu erklären, aufs Spiel gesetzt wird. Scheitert der Euro, indem nur ein einziges Land wieder zurück zu einer eigenen Währung muss, scheitert Europa. Das möchte ich nicht riskieren und darum bin ich bereit, die dazu notwendigen Maßnahmen auch aus der Opposition heraus zu unterstützen.

Mir hat die Abstimmung zum ersten Rettungspaket für Griechenland vor zwei Jahren deutlich gezeigt, wie wenig Bereitschaft bei den etablierten Politikern vorhanden ist, wirklich über den eigenen Schatten zu springen und wie wenig eine einfache Mehrheitsentscheidung im Bundestag von den Entscheidern in der Wirtschaft ernst genommen wird. Wir hätten damals die Chance gehabt, mit ganz breiter Mehrheit im Bundestag (mit Ausnahme der Linksfraktion) die Grundsätze für die Bankenregulierung gemeinsam zu beschließen. Aber weder Koalition noch wir oder die SPD wollten einen Millimeter nachgeben und einen gemeinsamen Antrag als Signal an die Finanzwirtschaft verabschieden. Die hat dann ja auch so weitergemacht wie immer.

Bei der Energiewende ist dann diese breite Mehrheit zustande gekommen. Das hat endlich auch dem Letzten in der Energiewirtschaft gezeigt, dass die Politik es Ernst meint mit dem Vorschlag und es nichts bringt, auf andere Mehrheitsverhältnisse zu warten. So geht es jetzt los und die Energiewirtschaft entwickelt neue Geschäftsmodelle.

Wenn wir wirklich das große Ziel Europa noch realisieren wollen - und dafür brenne ich! - dann müssen wir die dazu notwendigen Maßnahmen auch wieder mit breiter Mehrheit im Bundestag verabschieden. Danach müssen wir dies nach Art. 146 des Grundgesetzes natürlich der Bevölkerung zur Zustimmung zu einer neuen europäischen Verfassung vorlegen.

Es wäre natürlich für die Grünen viel einfacher, als Opposition alles abzulehnen, was die Regierung vorlegt. Wo wir dann hinkommen, habe ich schon an Beispielen aufgezählt. Aber gerade in Griechenland ist immer konsequent nach diesem Muster gearbeitet worden und sie sind damit direkt am Abgrund gelandet. Denn jede Partei hat dort nur immer die Vorteile für ihre eigene Klientel geschaffen.

Als Abgeordnete muss ich meine Entscheidungen zum Wohle des gesamten deutschen Volkes treffen und nicht für irgendwelche Lobbyinteressen. Dazu bin ich wie bisher auch in Zukunft bereit und würde mich freuen, wenn mich dabei viele unterstützen. Denn der Weg ist noch weit und erfordert noch viele harte Entscheidungen, bei denen wir auch als Abgeordnete auf nationale hoheitliche Befugnisse verzichten müssen, um zu einer europäischen Nation zu kommen.

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