„Das Modell Europa retten“

Interview mit Uetersener Nachrichten vom 12. August 2011 Im Sommerinterview mit den Uetersener Nachrichten spricht Valerie Wilms über ihre Bilanz zur Halbzeit der Legislatur - über Energiepolitik, Fukushima, Eurokrise und die PID-Abstimmung.

12.08.11 –

Interview mit Uetersener Nachrichten vom 12. August 2011

Pinneberg. Sie ist die drittfleißigste Abgeordnete im Deutschen Bundestag, hat 267 kleine Anfragen gestellt. In dieser Folge unserer Sommerinterviews steht uns die Bundestagsabgeordnete Dr. Valerie Wilms von Bündnis 90/Die Grünen Rede und Anwort.

UeNa: Frau Dr. Wilms, was waren für Sie die Themen des ersten Halbjahres 2011?

Valerie Wilms: Natürlich die Energiepolitik. Die Katastrophe in Fukushima war das entscheidende Moment zur 180-Grad-Wende der Bundesregierung.

Wie haben Sie diese Wende wahrgenommen?

Die Regierung ist zu einer nachhaltigen Betrachtung des Themas Atompolitik gekommen. Dabei ist es entscheidend, dass man sich zu Zielen bekennt, welche die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Ökologie vereint.

Tragen solche Manöver wie sie die Bundeskanzlerin vollzogen hat, nicht eher zur Politikverdrossenheit der Menschen bei?

Ich sehe das eher als einen Schritt hin zu mehr Ehrlichkeit in der Politik. Frau Merkel hat erkannt, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland keine Atomkraft mehr möchte. Was mich daran stört ist, dass das Parlament als Gesetzgeber nicht ernst genommen wird.

Was meinen Sie damit?

Das ganze Gesetz wurde unter immensem Zeitdruck zusammengestellt. Es würde uns gut tun, mehr Sorgfalt bei solch schwerwiegenden Entscheidungen walten zu lassen und die Entscheidungsfindung wieder dorthin zu bringen, wo sie gemäß Grundgesetz auch hingehört: in das Parlament.

Was muss für eine wirkliche Energiewende passieren?

Die Endlagerfrage wird verdrängt. Eine Lösung zu finden, die alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, wird dauern. Dabei müssen wir die Menschen mitnehmen, sonst droht uns auch hier eine Situation wie bei Stuttgart 21.

Die Finanzkrise ist noch nicht zu Ende. Immer mehr Euro-Staaten wollen unter den Rettungsschirm. Ist der Euro noch zu retten?

Es geht vielmehr um die Rettung des Modells Europa. Darüber werden wir intensiv debattieren müssen. Wir brauchen ein stabiles Europa, ein Gebilde, das im Wettbewerb bestehen kann.

Was ist Ihrer Meinung nach für diese Rettung notwendig?

Wir müssen in Europa zu einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik kommen. Und wir sollten alles daran setzen, Europa als gemeinsames Europa zu vollenden, als ein Europa der Bundesstaaten. Von der Bundesregierung gibt es da leider zu wenig Engagement in diese Richtung. Wir Grüne stehen für ein gemeinsames Europa und unterstützen alle sinnvollen Maßnahmen, die in diese Richtung gehen.

Die Türkei hat angekündigt, alle Gespräche mit der Europäischen Union auf Eis zu legen, solange Zypern die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Sollten jetzt, wie es die CSU sogleich fordert, die Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt werden?

Die Beitrittsverhandlungen müssen weitergehen. Aber man sollte dem beitrittswilligen Land auch klarmachen, dass es sich mit dieser Vorgehensweise in keine besonders gute Position manövriert.

In Schleswig-Holstein sind im nächsten Jahr Landtagswahlen. Sehen Sie Ihre Partei für den Wahlkampf gut aufgestellt?

Wir leben von unserer hohen Glaubwürdigkeit, das zeigen die konstant guten Umfrageergebnisse für die Grünen. Von daher bin ich optimistisch, dass wir ein gutes Ergebnis einfahren werden.

In welcher Koalition? Rot-grün unter Thorsten Albig oder doch ein neues schwarz-grünes Experiment?

Wir werden unsere grünen Positionen erarbeiten und dann im Wahlkampf um Stimmen für die Grünen werben. Dann schauen wir mal weiter.

An den Anschlägen in Norwegen hat man gesehen, dass die Gefahr von nationalistischem Terror noch allgegenwärtig ist. Glauben Sie, dass Ähnliches auch in Deutschland passieren kann?

Ich habe da ehrlich gesagt keine Bedenken. Unsere Sicherheitsbehörden sind gut informiert und machen gute Arbeit.

Aber in Sachen Rechtsextremismus fährt die Bundesregierung die Mittel zur Beobachtung immer weiter zurück?

Die Bundesregierung ist auf dem rechten Auge blind. Hier müssen weitere Maßnahmen getroffen und fundamentalistische Gruppen beobachtet werden, wie zum Beispiel der Club 88 in Neumünster.

Wie stehen Sie zu einem neuen Versuch, die NPD zu verbieten?

Was wir brauchen ist Aufklärung und die politische Diskussion statt Verbote. Und der Verfassungsschutz muss raus aus der Partei.

Ein Thema des letzten halben Jahres war auch die Präimplantationsdiagnostik.

Ich habe den weitergehenden Antrag unterstützt, der die PID in engen Grenzen frei gegeben hat. Ich habe mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, mit welchen Vorwürfen diese Debatte geführt wurde. Wir sollten hier unseren Fokus auf die betroffenen Familien legen. Familien, die sich ein gesundes Kind wünschen, aber eine erbliche Veranlagung für eventuelle Behinderungen des Kindes vorweisen, haben mit der begrenzten PID-Freigabe die Chance, ein gesundes Kind zu bekommen.

Frau Dr. Wilms, vielen Dank für das Gespräch.

 

Oliver Carstens

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Wahlkreis